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Sonst noch was? Foto: SP-X

Sonst noch was? - Vom Recht auf Rausch

Auf den Rausch  folgt der Kater. Das gilt nicht nur in vielen Fällen für Fußballfans vor und nach dem Spiel, sondern ­ wenn es nach den deutschen Autofahrern geht ­ auch für Cannabis-Konsumenten hinter dem Steuer. Und ebenso für die Hersteller von Reisemobilen und Elektrofahrzeugen.

Jetzt ist es wieder so weit: Endlich rollt der Ball und endlich dürfen wir nicht nur stundenlang Fußball gucken, sondern mindestens ebenso ausführlich wichtige Interviews, Vor- und Nachspiel-Analysen und natürlich exklusive Berichte direkt aus dem Trainingslager anschauen. Aber es rollt ja nicht nur der Ball, auch Räder - vornehmlich die von Pkw - rollen wieder vermehrt. Und zwar vor allem nach den Spielen.

Wann die (Un-)Sitte sogenannter Autokorsos auch in Deutschland begann, ist heute kaum mehr nachzuvollziehen. Schon vor dem vielzitierten ,,Sommermärchen 2006" brach in größeren Innenstädten nach wichtigen Siegen regelmäßig der Verkehr zusammen. Wobei ,,wichtige Siege" natürlich ein relativer Begriff ist. So dürfen wir denn in den nächsten Wochen auch nach Vorrunden-Megakrachern wie Slowenien-Dänemark, Georgien-Tschechen oder Kroatien-Albanien wieder mit viel ,,Stimmung" auf deutschen Straßen rechnen - also mit Dauerhupen, ständigem sinnlosen Anfahren und Abbremsen, extensivem Gebrüll und lautester, schlechter Musik. Man wundert und freut sich aber auch, wie viele verschiedene Nationalitäten in welcher Menge in einem großen Land wie Deutschland so wohnen. Verstärkt natürlich von denjenigen, die sich aus reiner Lebensfreude sowieso jedem Autokorso anschließen - Nation und Ergebnis egal.

Geradezu rührend sind in diesem Zusammenhang die Hinweise von Polizei, Autoclubs, Prüforganisationen und anderen Mahnern, dass etwa nur so viele Passagiere in einem Auto fahren dürfen, wie Gurte vorhanden sind, dass Fans auf Motorhauben und anderen Karosserieteilen nichts zu suchen haben und das Hupen oder die Nutzung von Warnblinkanlagen zu unterlassen ist.

Tatsächlich wird sich natürlich KEIN Fan die Gelegenheit nehmen lassen, nach dem Spiel - was ja nicht selten mitten in der Nacht bedeutet - mal so richtig und ungestraft das Tier mit dem Ringelschwanz rauszulassen. Dazu ist im Zweifel auch ein torloses Unentschieden bei der Begegnung Schottland-Schweiz Anlass genug.

EM und WM - das heißt eben Ausnahmezeit. Das Recht auf den Rausch des Sieges - oder wenn es sein muss auch eines Unentschiedens oder einer ehrenhaften Niederlage - lassen sich unsere Mitmenschen nicht nehmen. Weil ja, wie es die Boulevardzeitung mit den Großbuchstaben so gerne schreibt, eben ,,Ganz Deutschland im Fußballfieber" ist. Also bis auf die 50 Millionen, denen das steuerfreie UEFA-Spektakel herzlich egal ist. Und die den 15. Juli, den Tag nach dem Endspiel, als erste Autokorso-freie Nacht herbeisehnen.

Was das Recht auf Rausch angeht, ist übrigens der deutsche Autofahrer in Bezug auf Cannabis weitaus weniger großzügig als Teile der Gesellschaft mit sich selbst in Sachen Fußball. Oder weniger kompliziert: Mehr als die Hälfte (54 %) der Führerscheinbesitzer gaben gerade in einer Umfrage an, sich einen Cannabis-Grenzwert von 0,0 zu wünschen. Nur 19 Prozent dagegen bejahen den von der Politik festgesetzten Grenzwert von 3,5 Nanogramm je Milliliter Blut. Letztere werden wahrscheinlich viele jener Autofahrer gewesen sein, die mit Begriffen wie ,,Nanogramm" oder ,,Milliliter" wenig anzufangen wissen und ihren Bier-Bedarf, den sie während des Spiels und vor dem Aufbruch zum Autokorso konsumieren, eher in guten alten Litern messen.

Wenn der Rausch vorbei ist, kommt der Kater. Was sich wie ein Zitat aus dem Kalender ,,365 sinnfreie Sprüche für jeden Tag" liest, ist in Wirklichkeit nichts als die Wahrheit. Anderes gesagt: Wer über die Stränge schlägt, dem schlagen die Stränge zurück. Etwa im Bereich der Reisemobile, wo die Hersteller in der Coronazeit mit ihrer hohen Nachfrage nach Reisen abseits des Üblichen derart hohe Kapazitäten aufgebaut haben, dass sie ihre Fahrzeuge jetzt trotz Rekordzulassungen mit ebenso hohen Abschlägen verkaufen müssen.
Falls Ihnen das bekannt vorkommt: Ähnlich, aber mit viel dramatischeren Folgen ergeht es den Herstellern von Elektroautos. Gerade hat Tesla wieder einmal die Preise für sein in Deutschland gebautes Model Y gesenkt und damit aller Wahrscheinlichkeit nach eine neue Preisrunde mit Tendenz nach unten eingeläutet.

In beiden Fällen - Reisemobil- oder E-Autokäufer - heißt der Gewinner: der Kunde. Schließlich hat auch der ein Recht auf Rausch. Und wenn es auch nur der Konsumrausch ist. Sonst noch was? Nächste Woche wieder.

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