img
Mercedes hat den Marco Polo neu aufgelegt Foto: Craig Pusey
ZUR FOTOSHOW

Schottlandtour im Mercedes Marco Polo - Schlafwagen mit Stern

Vanlife ist in. Wir sind mit dem neuen Mercedes Marco Polo losgefahren in eine Gegend, die sich selbst im Frühsommer noch von ihrer rauen Seite zeigen kann. Fàilte Air Alba - Willkommen in Schottland.

Es ist abends um sieben und auf jeder anderen Ferienfahrt würde jetzt so langsam die Nervosität steigen. Denn wer mit einem Campervan unterwegs ist, fängt spätestens mit den ersten Zeichen der Dämmerung an, einen passenden Stellplatz zu suchen. Doch hier und heute rollt der neue Mercedes Marco Polo ganz gelassen durch die abenteuerliche Landschaft: Der Sommer ist noch weit und mit ihm die Welle der Vans, die jedes Jahr früher und stärker in alle Winkel der Welt schwappt. Deshalb ist die wohnliche Variante der V-Klasse auf ihrer ersten großen Fahrt nach dem Facelift noch so allein wie der Highlander, der hier seine Heimat hat. ,,Es kann nur einen geben" - das gilt auf diesem Trip durch die Hügel im Norden der britischen Insel nicht nur für Connor McLeod, sondern auch für den mindestens 70.239 Euro teuren Mercedes, der lieber das letzte Licht nutzt und von Edinburgh über Inverness weiter in Richtung Küste rollt, als jetzt schon einen Stellplatz zu suchen.

Erst zwei Stunden später irgendwo nördlich von Ullapool ist es dann aber doch mal genug, denn bei Dunkelheit will hier niemand den Slalom zwischen Schafen und Steinen auf den Single-Track-Roads absolvieren. Der ist schließlich schon bei Tag schwierig genug und dankbar schaut man dabei auf die Kameras, die das Format des Autos beim Rangieren merklich schrumpfen lassen. Außerdem sind wir ja wegen der Ausblicke hier, und nicht als Kilometerfresser. Und als dann noch der zottelige Stewart für die Aussicht auf einen Schuss mit Tee aus der Bordküche die Kette an der Zufahrt seiner privaten Halbinsel öffnet, kann das Abendprogramm beginnen.

Kurz kämpft sich der Stuttgarter Koloss noch über die feuchte Wiese zum Bootsanleger am Strand und dankbar registriert man den Allradantrieb, der den Aktionsradius hier spürbar erweitert. Dann beginnt die Metamorphose und aus dem Automobil wird eine Immobilie auf Zeit. Dabei hilft dem Camper die Digitalisierung. Denn Mercedes hat die gesamte Bedienung nicht nur auf dem neuen Zentralbildschirm des aktualisierten MB-UX-Systems gebündelt, sondern auch auf einer App fürs Smartphone. Während man schon mit Meerblick in den Campingsesseln sitzt, die hinter der großen Heckklappe ihren Platz haben, auf dem Klapptisch die Petroleum-Leuchte flackert und drinnen auf der Gasflamme das Teewasser zu kochen beginnt, lässt man vom Handy aus das Dach ausfahren, kontrolliert ob der Kühlschrank kalt genug für Stewarts Schuss ist, stellt ein romantisches Ambiente-Licht ein und sucht beim Streaming-Dienstleister seiner Wahl den Soundtrack von Local Hero.

Da stört es auch nicht, dass es hier oben in Schottland nur wenige Pubs gibt und die meisten davon obendrein nur im Sommer öffnen. Wozu hat der Marco Polo schließlich eine Einbauküche? Und selbst wenn es den vielen Fallen in den kleinen Fischerdörfern zum Trotz nirgendwo einen Hummer zu kaufen gab, haben wir den Tag über trotzdem ein paar schottische Pies eingesammelt und ein paar Farmeier aus einem Korb am Straßenrand gekauft. Und Stewart hat nicht umsonst ein Fischerboot an der Mole liegen. Ob mit Michelin oder ohne gibt es deshalb jetzt gleich Sterne-Küche. Und zwar nicht nur, weil einer groß wie ein Pfannkuchen am Kühlergrill prangt.

Ein paar Tausend Kalorien, mehr Schüsse als Tees und eine Viertelstunde an der Einbauspüle später verzieht sich Stewart im rostigen Pick-Up zu Heim und Herd und der Fahrer klettert nach oben in die Koje - allerdings nicht, ohne die vielleicht hilfreichste Neuheit im neuen Marco Polo genutzt zu haben. Nein, nicht den Alibert als Mutter aller Badschränke - der ist samt Make-Up-Beleuchtung und Spiegel zur Abendtoilette schon immer eingebaut. Sondern die automatische Niveau-Regulierung. Denn die V-Klasse macht sich ihre Luftfederung zunutze und balanciert sich auf Knopfdruck automatisch aus. Wer nächtens nicht mit dem Abendessen ringt oder die Nähe zum Bettnachbarn sucht, liegt deshalb immer topfeben und ruhig - und schläft entsprechend schnell ein. Erst recht, weil immer und irgendwo eine Herde Schafe blökt und noch ehe man bis zehn gezählt hat, ist man auch schon weg.

Was abends ein Segen ist, wird morgens allerdings zum Fluch. Denn ausschlafen ist nicht drin bei all dem Lärm, den Schafe und Möwen hier oben machen. Dabei hat die - natürlich ebenfalls vom Smartphone kontrollierte - Zusatzheizung selbst in der kühlen Frühsommernacht ein so kuscheliges Klima erzeugt, dass man den ganzen Tag auf der Pritsche bleiben und nur den Ausblick genießen könnte. Und die Aussicht auf die Außendusche macht jetzt auch nicht wirklich Lust darauf, den Tag zu beginnen.

Andererseits wartet die NC500 auf uns und mit ihr eine der schönsten Straßen, die es in Europa gibt. Wild, rau und zumindest um diese Jahreszeit noch ziemlich einsam, windet sie sich entlang der Atlantik-Küste, überwindet Hügel und Kämme von schroffer Schönheit und kämpft sich durch Moore und Wälder, aus denen immer und überall irgendwelche Fabelwesen kommen könnten. Ob Nessie echt ist oder nur eine Erfindung - wer mal ein paar Stunden durch Schottlands Norden gefahren ist, der hat auf diese Frage schnell eine ganz eigene Antwort.

Dass sich Petrus dabei heute wenig gnädig erweist, ist nur auf den ersten Blick ein Schaden. Denn erstens wechselt das Wetter in Schottland schneller als anderswo und irgendwann wird die Sonne schon wieder scheinen. Und zweitens gibt es nichts langweiligeres als blauen Himmel, lacht der Fotograf und schwärmt von dramatischen Wolkenbildern in viel mehr als Fifty Shades of Grey.

Und wer die Welt durch seine Augen sieht der, der sieht hier in Schottland Landschaften und Lichtstimmungen von einer Dramatik, Stille und Schönheit, wie sie keine andere Region Europas zu bieten hat. Und vor allem von einer ungeahnten Vielfalt. Denn oft reicht eine Kurve oder eine Kuppe und man fährt in einer anderen Welt.

Und wenn man dann irgendwann glaubt, jetzt alles gesehen zu haben, biegt hinter dem letzten Haus im pittoresken Applecross plötzlich eine Passstraße ab und führt hoch auf einen Berg, den sie auf dem Kontinent allenfalls Hügel nennen würden, der einem aber trotzdem den Atem raubt. Denn die Straße ist kaum breiter als ein Feldweg und die Steigung verlangt dem 2,0-Liter-Vierzylinder-Motor des Mercedes alles ab. Langsam aber stetig und von der Neunstufigen Automatik sanft im Zaum gehalten, kämpft sich der Diesel mit 237 PS und 500 Nm den Anstieg hinauf und fällt jenseits der Kuppe fast ins bodenlose. Denn während es auf der einen Seite durch die Highlands hoch geht, stürzt die Strecke auf der anderen Seite in dramatischen Serpentinen fast senkrecht hinunter in einen Fjord, den sie hier natürlich ,,Loch" nennen.

Von dort aus führt die Route ganz gelassen zurück nach Edinburgh. Und je weniger man über Linksverkehr nachdenkt oder über die breite der Straße, desto dynamischer wirkt der Marco Polo plötzlich - selbst wenn es nirgendwo eine hinreichend lange Gerade gibt, um den Sprint von 0 auf 100 in 7,9 Sekunden zu testen und wenn statt der 215 km/h Höchstgeschwindigkeit auf diesen Straßen auch das Tempolimit von 60 Meilen bisweilen eine Herausforderung ist. Aber dafür bewegt sich der Verbrauch nahe am Normwert von 7,8 Litern und die Reichweite kratzt an der Vierstelligkeit - was gut ist, weil die Tankstellen hier genauso rar gesät sind wie alle anderen Zeichen der Zivilisation.

Jetzt haben wir dann wirklich alles gesehen - bleibt nur Ben Newis als höchstem Berg der britischen Insel die Ehre zu erweisen, im Glencoe National Park noch einmal die Augen aufzureißen ob der majestätischen Schönheit der Berge oder uns staunend durch den Stau am Loch Lomond zu kämpfen. Also doch noch nicht alles gesehen? Macht nicht: So long Schottland, bidh sinn air ais - wie kommen wieder.

STARTSEITE