Sicherheit im Reisemobil - Jetzt im grünen Bereich

Man mag es kaum glauben, aber sündhaft teure Luxus-Reisemobile auf Iveco-Basis hatten bislang keine Airbags an Bord. Liner-Spezialist Niesmann und Bischoff will das für seine Top-Baureihe Flair ändern und ließ deshalb aufwändige Crashtests machen.

Fahrer- und Beifahrer-Airbags, Gurtstraffer und das Stabilisierungsprogramm ESP - alles kalter Kaffee. Gehört doch heute überall zur Standard-Ausrüstung, sollte man meinen. Von wegen. Gerade in der Königsklasse der Reisemobile, bei den Linern, jenen acht bis zehn Meter langen Dickschiffen, für die Summen in sechsstelligen Preisregionen hingeblättert werden müssen, ist nicht einmal ein Airbag an Bord, sofern es sich um das in dieser Klasse gerne verwendete Iveco-Chassis handelt.
 
Das will der zur Hymer-Gruppe gehörende Liner-Spezialist Niesmann und Bischoff jetzt ändern und führt zum Modelljahrgang 2018 für seine Top-Baureihe Flair serienmäßig die Luftsäcke für die beiden Frontsitze samt Gurtstraffer ein. Auch ESP und ein wegklappendes Bremspedal als erhöhter Schutz für den Fußraum bei Frontalzusammenstößen sollen dann grundsätzlich ab Werk mit an Bord sein. Premiere hat das neue Sicherheitskonzept auf dem Caravan-Salon (25. August bis 3. September) in Düsseldorf. Produktionsstart ist im November.
 
Bisweilen sind sich die Eigentümer der Luxusliner auf dem Iveco-Daily-Fahrgestell, wie es auch die Wettbewerber Concorde und Morelo verwenden, nicht bewusst, dass der im Ernstfall lebensrettende Airbag nicht vorhanden ist. Weil keiner auf die Idee käme, dass in solch teuren Wohnriesen diese im Pkw selbstverständliche Sicherheitstechnik nicht zum Serienumfang gehören könnte. Es ist aber tatsächlich so: Da Fahrer- und Beifahrerairbags weder gesetzlich vorgeschrieben sind, noch es irgendwelche gesetzlichen Regelungen zu den für die Zulassung notwendigen Crashtests gibt, wurden bisher sämtliche Liner auf dem Iveco Daily Fahrgestell ohne Luftsäcke und Gurtstraffer ausgeliefert.
 
Das Problem: Die Prallsäcke, die Iveco für seine Daily-Nutzfahrzeuge natürlich im Programm hat, können nur übernommen werden, solange - wie etwa bei teilintegrierten Fahrzeugen - das Fahrerhaus erhalten bleibt. Die Liner werden aber auf dem Chassis komplett neu aufgebaut, und damit muss der Reisemobil-Hersteller für die Sicherheit garantieren. Und da scheiterte das Airbag-Thema bisher an den hohen Kosten für eigene Crashtests.
 
Das durch seine Clouliner bekannt gewordene Unternehmen Niesmann und Bischoff aus Polch bei Koblenz hat aber genau dies gemacht, einen siebenstelligen Betrag investiert und nach gut eineinhalbjähriger Planungs- und Erprobungsphase drei Flair-Fahrzeuge gecrasht. Bei dem klassischen Test fuhr der komplett ausgebaute Flair mit 400 Kilogramm Zuladung - inklusive zwei Dummys mit je 78 Kilogramm - gegen eine 120 Tonnen schwere Barriere aus Stahlbeton. Der dabei übertragene Impuls entsprach nach Niesmann-Angaben einem ungebremsten Aufprall mit 135 Stundenkilometern auf einen stehenden Pkw.
 
Bei dem Crashtest, bei dem auf den Fahrer Belastungen vom 30-fachen der Erdbeschleunigung (30 G) einwirken, zeigten sich alle Parameter im grünen Bereich. Obwohl durch den Aufprall der Flair an der Hinterachse komplett abhob, war das Verletzungsrisiko für Fahrer und Beifahrer gering, ging die Frontscheibe zwar zu Bruch, aber ohne aus dem Rahmen zu springen und zersplitterten die Seitenscheiben, wie es sein muss, nach außen. Die Seitenwand zeigte praktisch keine Verformungen, selbst die Spaltmaße stimmten noch und die Türen und Klappen ließen sich problemlos öffnen. Der Flair bestand also alle Test ohne jegliche Einschränkungen.
 
Bei dem Projekt kooperiert Niesmann und Bischoff mit dem holländischen Truck-Spezialisten Estepe, mit dem auch eine Exklusiv-Vereinbarung abgeschlossen wurde. Denn neben den jetzt serienmäßigen Airbags, den Gurtstraffern, dem wegklappenden Bremspedal und dem ESP übernehmen bei der erforderlichen Anhebung des Cockpits auch eine spezielle, aus GfK gefertigte Sitzkonsole sowie eine Schottwand, die höchsten Sicherheitsanforderungen Stand hält, Schlüsselrollen im Sicherheitskonzept. Eine Konstruktion, die sich Niesmann patentrechtlich schützen ließ, denn natürlich erhofft sich das rheinland-pfälzische Unternehmen mit der erhöhten Sicherheit einen Wettbewerbsvorteil im Umfeld der Luxusliner.
 
Im Preis für den Kunden soll sich das alles nur marginal niederschlagen. Ein aus neun angebotenen Grundrissen ausgewähltes Flair-Modell für bisher 150.000 Euro wird im neuen Modelljahr dann 155.000 Euro kosten. Ein Aufschlag von rund 2,5 Prozent geht dabei auf das Konto der ohnehin anfallenden Preiserhöhung, die auch für das im Vorjahr vorgestellte Designer-Reisemobil Smove und den Arto-Liner auf Fiat-Ducato-Basis gilt, bei dem der neue, um zehn Zentimeter längere Arto 77E für rund 100.000 Euro den bisherigen 76E ersetzt. 

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