Rolls-Royce Ghost: Schlichter Geist

Rolls-Royce bringt die zweite Generation des Ghost an den Start. Der Motor-Informations-Dienst (mid) hat eine erste Ausfahrt mit dem 'Einstiegsmodell' der Briten unternommen.


Rolls-Royce bringt die zweite Generation des Ghost an den Start. Der Motor-Informations-Dienst (mid) hat eine erste Ausfahrt mit dem "Einstiegsmodell" der Briten unternommen.

Wie sich die Zeiten doch ändern. Einst, als Rolls-Royce noch stolzer Teil des britischen Wirtschafts-Imperiums war, wurde die Leistung eines Modells mit "ausreichend" angegeben. Während der Fahrt, so hieß es, sei das Ticken der Uhr das lauteste Geräusch im Innenraum.

Und heute? Unter dem Dach des BMW-Konzern wird die Motorleistung konkret mit 571 PS benannt, das lauteste Geräusch sei nun das Rascheln des Fahrer-Jackets.

Stimmt das? Und sind 571 PS "ausreichend" für eine angemessene Fortbewegung in einem 2,5 Tonnen schweren Gefährt? Zeit für eine ausgiebige Testfahrt. Die neue Limousine der Briten steht dafür bereit. Nämlich der Ghost, der nach zehn Jahren die erste Generation des, nun ja: Einstiegsmodells der Luxusmarke ablöst. Während der größere, traditionsreiche Phantom vor allem mit Chauffeur bewegt wird, soll der Ghost die Selbstfahrer begeistern. "80 Prozent der Besitzer setzen sich selber hinter das Steuer", weiß Rolls-Royce-Chef Torsten Müller-Ötvös zu berichten.

Nun glauben er und sein Team freilich nicht, dass solche Driver-Owner ihren Rolls-Royce deshalb besonders schlank und wuselig wünschten. Der Ghost bleibt ein 5,55 Meter langes automobiles Statement, ein Statussymbol der "Ultra high net worth individuals", jener Menschen, die hohe Geldsummen zur freien Verfügung haben. Doch innerhalb ihres Reichtums-Kosmos wünschen sie einen möglichst schlichten, ästhetischen Auftritt "ohne Blingbling", wie Chefdesigner Felix Kilbertus verrät: "Die Botschaft, die wir von unseren Kunden erhalten, ist eindeutig - give us less, and keep it simple". Frei übersetzt in etwa: weniger ist mehr.

Tatsächlich wirkt die Karosserie in ihrer Größe und Erhabenheit fast schlicht. Dass der große Wagen auf den Blick als RR zu erkennen ist, das garantiert die übliche Designsprache: Der repräsentative, stählerne Kühlergrill (der aber weniger dominant wirkt als mittlerweile bei der Muttermarke BMW). Dann die typische Silhouette mit der langen Fronthaube. Die bisherigen Querfuge hinter der Kühlerfigur "Spirit of Ecstasy" ist verschwunden. Für Fachleute ein klarer Hinweis darauf, dass es sich hier tatsächlich um ein neu konstruiertes Modell handelt und nicht ein weiteres Facelift.

Für Laien halten sich der optischen Änderungen in Grenzen; nach wie vor wirkt die Seitenlinie so "wie ein Boot, das sich beim Beschleunigen aus dem Wasser hebt", so Designer Kilbertus. Die ebenfalls typische, sanft schwingende Dachlinie sei nur möglich, weil die Karosserien der Briten "die letzten in der Auto-Industrie sind, die komplett von Hand gefertigt werden".

Und das wiederum ist nur machbar, weil die in Aluminium gefertigte Architektur eine exklusive RR-Angelegenheit ist und nicht etwa ein Ableger von BMWs 7er-Reihe. Das ist auch im Innenraum spürbar, wenn man die weit aufschwingende Tür - mit elektrischer Hilfe - geöffnet und im luxuriösen Ledersitz Platz genommen hat. Hier ist (bis auf das logischerweise von BMW stammende Navi-/Audio-Bediensystem mit iDrive und Touchscreen) alles in jener ästhetischen Schlichtheit gehalten, die Rolls-Royce sich zum Markenzeichen gemacht hat. Hinter dem Lenkrad zeigen die Rund-Instrumente im analogen Stil die wichtigsten Fahrdaten an, zu denen die Drehzahl nicht gehört; statt ihrer erfährt man die Leistungsreserve in Prozent. Und über den Köpfen strahlen Tausende LEDs, die auf Wunsch den Sternenhimmel an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit simulieren. Manchmal muss eben doch ein bisschen Blingbling sein.

Platz gibt's natürlich reichlich, auch und vor allem in der Breite, was eine quer durchlaufende, ununterbrochene Ledernaht unter dem edelhölzernen Armaturenbrett noch betont. Obwohl der Ghost der Royce für den Selbstfahrer ist, findet sich im Fond, hinter den am Heck angeschlagenen Türen, natürlich üppiger Fußraum. Und ein Kühler für Champagnerflaschen, der sich, je nach deren Alter, auf sieben oder elf Grad temperieren lässt.

Luxus pur also, aber in erster Linie ist der Ghost natürlich ein Automobil. Also fahren bitte! Die Türen per Tastendruck geschlossen, dann weckt der Startknopf den V12, was man eher ahnt als hört; und sanft setzt sich die Limousine in Bewegung. Souverän glättet sie Straßen-Unebenheiten und zu hören ist tatsächlich kaum etwas: Kaum Windgeräusche - auch dank der Doppelverglasung mit Schallschutzfolie - der Motor schon gar nicht, nur hin und wieder meldet sich das Fahrwerk von seiner Arbeit. Die Uhr tickt natürlich nicht, und so ist das Versprechen mit dem Kleiderrascheln als lautestem Geräusch schon mal eingelöst.

Und die Motorleistung? Aber hallo! Im Normalbetrieb zuckt der Leistungs-Anzeiger, kaum beeindruckt, nur ein wenig und meldet locker über 90 Prozent Reserve. Gelassen gleiten Mann und Maschine über die Straße, souveräner kann man in einem Automobil nicht unterwegs sein. Dann der Lkw auf der Landstraße: Kickdown, jetzt hört man den Motor brummen, die Leistungsrervenadel sackt auf unter zehn Prozent - und die schwere Limousine zieht an wie ein Sportwagen. Inklusive jenem Schlag in die Magengrube, den Fahrer so lieben und Beifahrer so hassen.

Das Verblüffende dabei: Der Ghost ist, wenn es denn sein soll, nicht nur dank seiner weit mehr als "ausreichenden" Motorleistung flink unterwegs, sondern auch wegen der Allradlenkung, maximaler Allrad-Traktion, sowie einer ausgeklügelten Vorderradaufhängung, in der sich zwei Dämpfer übereinander ergänzen: Ein in der Auto-Entwicklung bislang einmaliges Konzept. So gelassen man eben noch dahinglitt, so behände zirkelt man nun durch Kurven. Ok, solange sie nicht zu eng sind.

Nach der Fahrt ersetzen Motörchen wieder den Butler, der zum Öffnen der Tür herbeieilt - im Fond sogar, je nach Zug an der Innenklinke, in zwei Stufen. Nun entspannt aussteigen. Ach ja, wenn jemand da wäre, der den Wagen in die Garage fährt, das wäre schon nett. Denn Assistenzsysteme, etwa zum selbständigen Einparken, hat der Ghost eher wenig. Wenn der Besitzer selber fährt, will er schließlich auch selber fahren. Sonst kann er ja auch gleich den Chauffeur vorne hinsetzen.

Marcus Efler / mid

Technische Daten Rolls-Royce Ghost:

- L x B x H: 5,55 x 2,15 x 1,57 Meter

- Motor: V12-Benziner

Hubraum: 6,75 l

Leistung: 420 kW/571 PS bei 5.000 U/min

max. Drehmoment: 850 Nm bei 1.600 U/min

- 8-Gang-Automatik, Allradantrieb

- 0 bis 100 km/h: 4,8 Sekunden

- Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h

- Normverbrauch: 15,2 - 15,7 l/100 km

- CO2-Emissionen: 347 - 358 g/km

- Abgasnorm: Euro 6d

- Preis: ab 290.000 Euro

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