Panorama: Mercedes EQC 4x42 - Saubermann im Dreck

Nicht jedes Elektroauto ist eine saubere Sache. Dieser EQC zum Beispiel ist ein echter Dreckskerl - und auch noch stolz darauf. Denn als 4x42 wühlt er sich durch dick und dünn. Und bereitet so den Weg für einen noch größeren Schmutzfinken mit weißer Weste.

Normalerweise ist hier ein Spielplatz für G-Klassen und Unimogs, Ladas oder Land Rover. Elektroautos haben sich bis dato selten auf den Hügel hinter der Autobahnausfahrt Geisingen verirrt. Denn bei ihren schmutzigen Spielen in diesem gigantischen Sandkasten am Südrand des Schwarzwaldes setzen die Matschpiloten für gewöhnlich auf bewährte Antriebstechnik - viele Zylinder, reichlich Hubraum und Drehmoment und Getriebe mit möglichst großer Untersetzung. Doch was ist schon normal in einer Zeit, in der die CO2-Grenzwerte aus Brüssel die Autoindustrie quasi mit der Brechstange zum Durchbruch beim Akku zwingen und die PS-Branche dem Verbrenner immer weiter den Saft abdreht? Deshalb schlängelt sich auch aus dem rustikalen Blockhaus zwischen den Kieshafen mittlerweile tatsächlich ein Ladekabel und auch hier - hoch über Geisingen - beginnt eine neue Zeit.

Eingestöpselt ist das Kabel in einem ganz besonderen Mercedes EQC. Normalerweise vornehmer Vorstadtpanzer für klimabesorgte Gutverdiener, gibt der Geländewagen hier und heute den Dreckskerl und Jürgen Eberle ist auch noch stolz darauf. Denn nachdem der Mercedes-Entwickler vor drei Jahren schon mal einen Allterrain-Kombi der E-Klasse zum Big Foot umgebaut hat, wollte er auch einen Beitrag zur elektrischen Revolution leisten und hat sich deshalb des ersten Serienstromers aus Stuttgart angenommen. So genannte Portalachsen heben den EQC um 20 Zentimeter an und spreizen die Spurweite um zwei Handbreit. Und die Kotflügelverbreiterungen lassen den in mattem Pistolengrau lackierten EQC aussehen wie den Dienstwagen eines Endzeithelden. Dabei soll doch mit diesem Auto ein neues Zeitalter beginnen. Egal ob das nun den Klimawandel bringt oder nicht, ob es künftig im Schwarzwald so heiß wird wie in der Sahara oder so nass wie in den Niederlanden - als 4x42 ist der EQC für jedes Szenario gerüstet.

Während die gespenstische Ruhe nur vom Prasseln der Kiesel in den Radkästen gestört wird, wühlt sich der EQC deshalb die steile Böschung hinauf, stürzt sich auf der anderen Seite über ein Feld mit fußballgroßen Geröllbrocken wieder nach unten, nur um sich danach wie eine Wildsau im Schlammbad einer tiefen Senke zu suhlen: 20 Zentimeter mehr Höhe bedeuten nicht nur bessere Böschungs- und Rampenwinkel, sondern eben auch entsprechend mehr Bodenfreiheit und Wattiefe. Und sie bedeuten zugleich eine Kletterpartie für den Fahrer. Doch wer sich erst einmal über die großen Trittbretter am Lenkrad hinaufgezogen und sich dann wieder in die Ledersessel hat fallen lassen, wird dafür mit der perfekten Aussicht belohnt- wenn nicht schon wieder ein Berg von Bauschutt den Blick blockieren würde.

Ja, es gibt zwei neue Fahrprofile für Schlamm, Steine und Sand, die genau wie die elektronische Bergabfahrhilfe vom GLC übernommen wurden. Doch sonst hat Eberele nichts am Antrieb geändert. Warum auch: Die jeweils 150 kW/204 PS und 370 Nm starken E-Maschinen an den beiden Achsen haben nicht nur extrem viel Kraft, die auf Anhieb abrufbar ist und sich viel feinfühliger dosieren lässt. Anders als bei einem Verbrenner sorgt sich der Stromer auch nicht um den Ölfluss oder den Kühlwasserstand, die beide in extremer Schräglage schon mal durcheinandergeraten können. Und heiß gelaufen sind die E-Maschinen bislang auch noch nie - obwohl Eberle seinen 4x42 beim besten Willen nicht geschont hat. Im Gegenteil: Als der Prototyp durch den knöcheltiefen Sandabschnitt pflügt, berührt das Fahrpedal minutenlang das Bodenblech, die digitale Poweranzeige nähert sich den 100 Prozent und draußen spritzt der Dreck meterhoch. Aber während der Fotograf drei Schritte vor und einen zurück macht, wühlt sich der Stromer tapfer voran.

So souverän Eberles Spielzeug durch diesen gewaltigen Sandkasten pflügt und so leistungsstark sich dabei der Elektroantrieb erweist, haben die sauberen Spiele im Schmutz nur einen Haken: Der Energieverbrauch schnellt in die Höhe und die Reichweite rauscht entsprechend in den Keller: Wo der Strom aus dem 80 kWh-Akku im Wagenboden auf dem Prüfstand für fast 500 und in der Praxis für gut und gerne 300 Kilometer reicht, zeigt der Bordcomputer in der Pampa allenfalls 150 Kilometer und mit jedem Hüpfer über einen Hügel  sind es wieder ein paar weniger. Hier oben in der Kiesgrube ist das freilich kein Problem, jetzt wo sich aus dem Blockhaus ein Kabel schlängelt und drinnen als Pausenfüller ein gemütliches Kaminfeuer prasselt. Doch wer sich mit einem elektrischen Geländewagen wirklich in die Wildnis traut, muss entweder ein verdammt langes Verlängerungskabel mitnehmen oder seinen eigenen Generator. Denn während die Infrastruktur in der Zivilisation langsam aber stetig besser wird, sieht man in der Steppe eher Löwen als Ladesäulen. Im Urwald wird das kaum anders sein. Und selbst in der Uckermark könnte es schon schwierig werden.

Trotzdem hat Mercedes ernsthafte Absichten mit dem ersten Abenteurer unter den Akku-Autos. Nein, keine Sorge: So stolz Eberle als geistiger Vater dieses Projekts auf seinen Bigfoot auch sein mag, glaubt nicht einmal er im Traum an eine Serienfertigung. Doch weiß der Entwickler gleichwohl, dass dieser Dreckskerl keine folgenlose Fingerübung bleibt. Alles, was sie bei diesem Projekt lernen, fließt vielmehr ein in die Arbeit an der elektrischen G-Klasse, die sich umweltbewegte Stammkunden wie Arnold Schwarzenegger schon seit Jahren wünschen und die Konzernchef Ola Källenius gerade noch einmal bestätigt hat. Dass die allerdings noch ein wenig auf sich warten lässt, liegt nicht allein an der dürftigen Ladeinfrastruktur abseits des Asphalts und daran, dass es für den G unter den elektrischen Geländewagen ein bisschen mehr braucht, als zwei neue Fahrprogramme und eine Bergabfahrhilfe. Das liegt auch daran, dass die Truppe mit dem Vierkant aus Graz auch so schon gut beschäftigt ist und die nächste Modellvariante schon am Wickel hat. Selbst wenn dort unter der Haube nach alter Väter Sitte noch ein V8 röhrt, wird die auch Männern wie Jürgen Eberle gut gefallen - denn wenn die Fotos von den ersten Prototypen nicht täuschen, steht der wieder auf Portalachsen und die 4x42-Saga bekommt schon jetzt ein neues Kapitel.

Hier oben in Geisingen können sie das Debüt dieses Dreckspatzen kaum erwarten und die Radlader schieben sicher bald schon ein paar besonders steile Hügel für ihn auf. Doch das Ladekabel lassen sie dabei besser liegen. Denn auch im Gelände, so werden sie bei dieser sauberen Schlammschlacht nicht müde zu betonen, ist die Zukunft elektrisch.

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