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Molto bene dank Mittelmotor und Bertone, meinten Fachjournalisten bei der Premiere des Fiat X1/9 im Herbst 1972 Foto: Fiat Stellantis
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50 Jahre Fiat X1/9 - Sicherer zur Sonne

Es war dieser unwiderstehliche Mix aus messerscharfer Keilform, drehfreudigem Mittelmotor und großer Dachöffnung für die Sonne des Südens, der dem Fiat X1/9 eine Langzeitkarriere als Kultmodell und Volks-Ferrari sicherte. Safety First durch Überrollbügel, damit reüssierte der X1/9 in Amerika und inspirierte Konkurrenten. 

Molto bene dank Mittelmotor und Bertone, meinten Fachjournalisten bei der Premiere des Fiat X1/9 im Herbst 1972. Tatsächlich zauberte dieser kleine, von Marcello Gandini bei Bertone in keilförmige Klappscheinwerfer-Konturen gegossene Italiener vielen Sportwagenfans ein breiteres Grinsen ins Gesicht, mehr als es etablierte Mittelmotor-Erfolgstypen à la Matra M 530 oder VW-Porsche 914 vermochten. Vielleicht lag es auch am Überraschungseffekt des kantigen Frischluft-Fiat mit herausnehmbarem Targadach. Hatte er doch kaum etwas von jenem Futurismus verloren, mit dem schon 1969 das ebenfalls von Stardesigner Gandini kreierte Concept Car Autobianchi Runabout eine schöne neue Autowelt sonnigen Vergnügens versprach. Der Fiat X1/9 löste dieses Versprechen ein, indem er die visionären Runabout-Formen serientauglich machte und neue amerikanische Sicherheitsdiskussionen mit einem stabilen Überrollbügel beantwortete. ,,Amusing like a convertible, comfortable like a coupe", erklärte die Bertone-Werbung. Ganz so vergnüglich-frei wie im Vollcabrio konnte die Sonne im X1/9 nicht erlebt werden, dafür garantierte das Formel-1-Layout mit Hinterradantrieb, Mittelmotor und fast perfekter Gewichtsverteilung Fahrspaß, der 16 Jahre lang begehrenswert blieb. Erst 1988 und nach 166.000 Fahrzeugen endete die Produktion des X1/9. Zuvor fungierte er aber noch als Ideengeber für die Japan-Bestseller Toyota MR2 und Mazda MX-5.

Begehrenswerte Sportwagen und Spider aus den Ateliers weltberühmter Designer gehören zu Italien wie die Sonne des Südens und das Wissen um La Dolce Vita, also wie sich das Leben versüßen lässt. Etwa mit Alta Moda aus Milano oder Torino. Wer bei verführerischen Formen nur an Vmax-Boliden von Bertone und Pininfarina für Ferrari, Maserati oder Lamborghini denkt, vergisst die fulminant erfolgreichen Massenmodelle, die italienisches Lebensgefühl bis nach Nordamerika getragen haben. Dazu zählt neben Ikonen wie dem Alfa Spider, der 1967 mit Dustin Hoffman im Kultfilm ,,Die Reifeprüfung" Italianità nach Kalifornien exportierte, auch der winzige Fiat 850 Spider. In emotionalen Linien gezeichnet und gebaut bei der Carrozzeria Bertone punktete der kleine Sonnenkönig sogar im Land der Straßenkreuzer. Und genau diese Erfolgsstory wollten Bertone - der Karossier vertrieb den 850 auch unter eigenem Markennamen - und Fiat in den 1970ern fortsetzen, speziell in den USA als weltgrößtem Sportwagenmarkt. Allerdings war nun Kreativität angesagt, denn amerikanische Behörden stellten die Überschlagsicherheit konventioneller Cabrios in Frage. Bertone konterte 1969 mit einer spektakulären Barchetta, dem Autobianchi Runabout. Dieses zweisitzige Concept Car kennzeichneten keilförmige Linien, ein integrierter massiver Überrollbügel, Mittel-Heckmotor und muskulös abgerundete Radkästen. Von Publikum und Presse enthusiastisch begrüßte Features, die drei Jahre später im Fiat X1/9 in Großserienfertigung gingen.

Bertone hatte es wieder einmal geschafft: Ein neuer Kundenauftrag von Fiat und ein sicherer Zweisitzer für junge Amerikaner und Europäer, die futuristische Formen aus bella Italia altehrwürdigen britischen Roadstern vorzogen. Mehr noch: Marcello Gandini, Chefdesigner bei Bertone, hatte einen Hauch der Faszination seiner keilförmigen Supercar-Meisterwerke Alfa Carabo, Lamborghini Countach oder Lancia Stratos in den Fiat X1/9 einfließen lassen. Superschnell brauchte der anfangs nur 55 kW/75 PS starke Fiat nicht zu sein. Wichtiger waren bezahlbare Preise (11.285 Mark und damit billiger als Matra, MGB oder VW-Porsche), robuste Großserientechnik (geliefert vom Fiat 128), der Blick zum Himmel, Sicherheit dank kräftiger und dynamischer B-Säule sowie Bügel, coole Klappscheinwerfer und der Mittelmotor für den Kurventanz. Attribute, die der 3,83 Meter kurzen und mit 1,17 Meter rekordverdächtig flachen Flunder prompt eine Bestsellerkarriere sicherten.

Mehr noch: Im Jahr 1982 etablierte der X1/9 Bertone endgültig als eigenständige Automobilmarke, denn fortan erfolgte auch der Vertrieb des flotten Luftikus unter dem Signet der Carrozzeria. Gleiches galt übrigens auch für das Fiat-Ritmo-Cabrio, das seit 1978 seinen 63 kW/86 PS Motor für den X1/9 bereitstellte. Fiat entschied sich damals für den Rückzug aus dem schwieriger werdenden Amerika-Geschäft. Eine Strategie, die Bertone umgehend zum eigenen Vorteil nutzte. Die Designmarke vertraute dabei aufs bewährte Fiat Vertriebsnetz und ließ die Sonne für Cabriofans weiterhin scheinen, während fast alle anderen Frischluftwettbewerber verschwanden. Tatsächlich überlebte der Fiat X1/9 in dieser Zeit auch seinen Technikspender Fiat 128, dem er sogar den geheimnisvollen Typencode verdankte.

Im Jahr 1969 - damals debütierte das Frontantriebsmodell Fiat 128 - symbolisierte der Entwicklungscode X1 die neue Plattform in der italienischen Kompaktklasse. Die zuerst vorgestellte Limousine Fiat 128 erhielt den Projektcode X1/1, der X1/9 wurde als neuntes Projekt realisiert und nutzte die Antriebsaggregate aus dem ebenfalls 1972 eingeführten Coupé 128 Sport 1300, das er in den Fahrleistungen deutlich übertraf. Mittelmotor und Leichtbau, wer denkt da nicht sofort an Motorsportlegenden wie den Lancia Stratos HF? Schon auf dem Genfer Automobilsalon 1973 weckte ein von Motorsportenthusiasten aufgebauter Gruppe-4-Racer Hoffnungen, die ein 1974 erfolgreich bei nationalen Rallyes in Italien und Frankreich eingesetzter Fiat Abarth X1/9 Prototipo mit 154 kW/210 PS Leistung verstärkte. Am Ende konzentrierte sich Fiat trotzdem auf den 131 Abarth Rally, mit dem Walter Röhrl Rallye-Weltmeister wurde.

Sehr genau studiert wurden die fahrdynamischen Qualitäten des X1/9 übrigens in Japan. Dort setzte der charismatische Fiat im Jahr 1976 die Initialzündung zur Entwicklung des Toyota MR2, der ab 1984 mit Mittelmotor und T-Bar-Roof zum globalen Bestseller avancierte und auf vielen Märkten mit dem Bertone X1/9 konkurrierte. Dieser hatte nun seine besten Zeiten hinter sich, das konnten auch immer neue bunte Sonderserien und der 1984 aufgelegte X1/9 S Kat mit frugalen 57 kW/77 PS, dafür zukunftsweisendem geregeltem Drei-Wege-Katalysator nicht kaschieren. Die von Kanten-Künstler Gandini geschaffenen Konturen der in Fachmedien respektvoll ,,Baby-Ferrari" genannten Fiat-Konstruktion wirkten ,,forever young", aber den modernen bis zu 91 kW/124 PS kräftigen 16-Ventilern made in Japan fuhr der X1/9 jetzt hinterher.

Dennoch diente der X1/9 auch bei Mazda als Referenzmodell für die Entwicklung des Roadsters Mazda MX-5, von dem in den Designateliers sogar eine entsprechende Variante mit dynamischem Überrollbügel entstand. Als der Japan-Roadster schließlich 1989 in den Schauräumen stand, hatte sich Bertones Zweisitzer jedoch bereits verabschiedet. Im Sommer 1988 war der letzte Lifestyle-Keil aus den Werkshallen gerollt, der Abverkauf des kleinen Italieners dauerte dann doch bis 1990. In jenem Jahr der deutschen Wiedervereinigung ließen die finalen X1/9 die Sonne im Herzen von Italo-Fans zwischen Rhein und Oder aufgehen.



Chronik:
1965: Auf dem Genfer Salon debütiert der Fiat 850 Spider als offenes Einstiegsmodell ins Sportwagenprogramm von Fiat. Designt und gebaut wird der Spider bei der Carrozzeria Bertone
1968: Bertone zeigt die Fiat-850-Variationen ,,850 Racer Convertibile" und ,,850 Racer Berlinetta", mit denen Bertone den Vertrieb in Nordamerika aufnimmt, später wird Bertone diese Amerika-Aktivitäten mit dem X1/9 fortführen
1969: Debüt des Fiat 128, der die technische Architektur für eine neue Fiat-Modellfamilie liefert, auch für den drei Jahre später lancierten Mittelmotorsportler X1/9. Auf dem Turiner Salon überrascht die keilförmige und flach gehaltene Bertone-Studie Autobianchi Runabout. Dieser von Marcello Gandini gestaltete Sportwagen-Entwurf inspiriert die Entwicklung des Fiat X1/9, der auch die Nachfolge des Fiat 850 Spider antreten soll
1972: Im Oktober Produktionsstart für den Fiat X1/9, Serie 1300 AS. Die Karosserien werden bei Bertone in Grugliasco unweit Turin gebaut, die Endmontage des Autos erfolgt im Fiat-Stammwerk Lingotto
1973: Am 8. Juni rollt der letzte Fiat 850 Spider vom Band. Insgesamt wurden 140.000 Einheiten verkauft. Am 7. Mai erfolgt die deutsche Markteinführung des X1/9, Ende des Jahres dann die Markteinführung in den USA, dem größten Markt für den X1/9. Dort gibt es den X1/9 mit nur 66 PS leistendem, aber emissionsärmeren Motor. Schon im März des Jahres debütiert auf dem Genfer Salon ein X1/9, der von einem unabhängigen Rennteam für Gruppe-4-Motorsporteinsätze präpariert ist
1974: Der Fiat Abarth X1/9 Prototipo wird mit bis zu 210 PS starkem Vierzylinder aus dem 124 Abarth in fünf Einheiten gebaut und fährt 1974/75 bei verschiedenen Rallyes in Italien und Frankreich Erfolge ein, wird aber nicht offiziell in der Rallye-WM eingesetzt. Auch eine zur Homologation geplante Straßenversion in der Auflage von 500 Einheiten wird nicht realisiert. Stattdessen wird vom Fiat 131 eine Rallyeversion entwickelt
1975: Einführung der X1/9-Motorsportversion Icsunonove Dallara mit Kunststoffkarosserie, 1,3-Liter-Motor mit Vierventiltechnik und Einspritzung und Leistungswerten ab 190 PS. Dieser Rennwagen startet in der Gruppe 5 nach der Produktion einer Homologationsserie von 30 Einheiten  
1976: Neu ist der weiterentwickelte Fiat X1/9 Exclusiv mit 73 PS Leistung und optischen Modifikationen. Toyota beginnt mit der Entwicklung eines Zweisitzers mit Mittelmotor und T-Bar-Roof, inspiriert durch den Fiat X1/9
1977: Im Pariser Nachtclub Lido wird das Sondermodell Fiat X1/9 Lido vorgestellt in Schwarzmetallic und mit weißer Alcantara-Innenausstattung
1978: Im Oktober beginnt die Produktion des überarbeiteten Fiat X1/9 Five Speed, Serie 1500 AS. Kennzeichen der Evolutionsstufe sind ein neuer, hubraumgrößerer Motor, das Fünfgang-Getriebe, das frisch gestaltete Interieur, andere, massivere Stoßfänger und die modifizierte Motorhaube. Weltpremiere feiert der aktualisierte Fiat X1/9 auf der Birmingham Motorshow
1982: Im März Serienstart für den Bertone X1/9, Typ 1500 AS 1, der Vertrieb startet mit der X1/9 IN Serie mit markanter Zweifarblackierung. Fiat zieht sich aus dem USA-Geschäft zurück und schließt das Werk Lingotto, deshalb kommt es zur kompletten Produktionsverlagerung des Fiat X1/9 zu Bertone. Auch der Vertrieb des Sportwagens erfolgt nun unter der Marke Bertone
1984: Serienstart des Toyota MR2, bei dessen Entwicklung der Fiat X1/9 als Referenzmodell diente. Der Fiat X1/9 wird auf verschiedenen Märkten optional mit geregeltem Drei-Wege-Katalysator, aber geringerer Leistung lieferbar, in Deutschland erst ab Mai 1985
1985: Der Bertone X1/9 wird in der Sonderserie Sunshine aufgelegt
1986: In Deutschland werden weiterhin Fiat X1/9 (63 kW/85 PS) und die Katalysatorversion X1/9 S KAT mit 56 kW/77 PS parallel angeboten. Preise ab 22.940 Mark bzw. 25.650 Mark (als X1/9 S KAT). Alcan in Montreal/Kanada baut fünf Bertone-X1/9-Prototypen mit Aluminiumkarosserie
1987: Mit dem Sondermodell Gran Finale verabschiedet sich die Rechts-Lenker-Version des Bertone X1/9
1988: Im Juli Produktionsende für den Bertone X1/9
1989: Der Mazda MX-5 geht in Serie. Auch bei der Entwicklung dieses Sportwagens diente der Fiat X1/9 anfangs als Referenzfahrzeug, deshalb wurde auch eine Designstudie mit T-Bar-Roof entwickelt, die allerdings zugunsten des Roadsters mit Verdeck verworfen wurde
1990: Letzte Lagerfahrzeuge aus den USA werden nach Deutschland geliefert und dort verkauft
1995: Der offene zweisitzige Sportwagen Fiat Barchetta geht in Serie als Nachfolger des X1/9, wie bei der Pressevorstellung erklärt wird. Bis 2005 werden 57.521 Einheiten des Modells mit Frontmotor gebaut, davon fast die Hälfte in Deutschland verkauft
2022: Der Fiat X1/9 feiert den 50. Jahrestag der Weltpremiere, gewürdigt von der Community mit verschiedenen Aktionen. Spätestens seit 2020 sind auch die allerletzten ausgelieferten Fiat X1/9 H-Kennzeichen-Kandidaten

Motorisierungen:
Fiat X1/9 1300 (ab 1972) mit 1,3 Liter-Vierzylinder-Benziner mit 55 kW/75 PS
Fiat X1/9 1300 Exclusiv (ab 1976) mit 1,3 Liter-Vierzylinder-Benziner mit 54 kW/73 PS
Fiat X1/9 1500 Five Speed (ab 1978) mit 1,5 Liter-Vierzylinder-Benziner mit 63 kW/86 PS
Bertone X1/9 (ab 1982) mit 1,5 Liter-Vierzylinder-Benziner mit 63 kW/86 PS
Bertone X1/9 (ab 1984) mit 1,5 Liter-Vierzylinder-Benziner mit 57 kW/77 PS und geregeltem Drei-Wege-Katalysator.

Ausgewählte Produktionszahlen:
Fiat und Bertone X1/9 Gesamtproduktion (1972-1988): ca. 166.000 Einheiten, davon 50.262 Fiat X1/9 1300 (75 PS) von Oktober 1972 bis März 1976, 47.736 Fiat X1/9 Exclusiv 1300 (73 PS) von April 1976 bis August 1978, 700 Fiat X1/9 Lido 1300 (73 PS) von März 1977 bis August 1978, 51.403 Fiat X1/9 1500 Five Speed (86 PS) von September 1978 bis März 1984, 14.928 Bertone X1/9 1500 Typ 84/84 S (86 PS) von Januar 1984 bis März 1986, 11.348 Bertone  X1/9 1500 Katalysator (77 PS) von Januar 1984 bis März 1986, 5.691 Bertone X1/9 1500 (86 PS)/1500 Katalysator (77 PS)/Gran Finale von April 1986 bis Juni 1988.

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