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Von wegen Pebble Beach, Villa d'Este oder das Festival of Speed - wer historische Sportwagen wirklich in Aktion erleben und drum rum etwas sehen willen, der muss zu den Le Mans Classics Foto: SP-X/B.Bessinger
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Panorama: Le Mans Classic - Hochamt der historischen Heizer

Von wegen Pebble Beach, Villa d'Este oder das Festival of Speed - wer historische Sportwagen wirklich in Aktion erleben und drum rum etwas sehen willen, der muss zu den Le Mans Classics. Dort ist fast so viel los wie beim 24-Stunden-Rennen. Und das automobile Abenteuer fängt bei Einbruch der Dunkelheit erst an.

Es ist morgens um sieben und die Welt in Ordnung. Zwar liegt ein heißes Sirren in der Luft, das mit jeder Sekunde lauter wird, sich zu einem Kreischen hart an der Schmerzgrenze steigert und dann wieder abklingt, nur um keine fünf Minuten später wieder zu ertönen, als würde eine Wespe im Gehörgang Kunstflug machen. Nur dass dieses Geräusch hier jeder hört. An Schlaf ist deshalb für keinen mehr zu denken. Doch statt sich daran zu stören und wütend aus dem Schlafsack zu kriechen, öffnen sie alle verzückt die Augen und schielen nach der Quelle dieses Lärms. Denn wann wird man schon einmal von einem leibhaftigen Mazda 878B geweckt, mit dem die Japaner 1991 das erste und einzige Mal das 24 Stunden von Le Mans gewonnen haben?

Autos wie dieser 700 PS starke Tiefflieger mit seinem Vierscheiben-Wankelmotor sind der Grund, weshalb am ersten Wochenende im Juli noch einmal über 200.000 Petrolheads nach Le Mans gepilgert sind und dort bei den Le Mans Classic vier Tage lange ein Hochamt der historischen Heizer gefeiert haben. Noch bevor die Reifenspuren des letzten Rennens der aktuellen Serie auf der Hunaudieres-Geraden verblassen und die provisorischen Streckenbegrenzungen in der Mulsanne-Kurve abgebaut werden, treffen sich auf den legendären 14 Kilometern an der Sarthe traditionell knapp 1.000 historische Rennwagen. Und statt 24 Stunden fahren sie gleich vier Tage lang um die Wette - wenn auch nicht ganz so aggressiv und in kürzeren Etappen.

Dafür räumen private Sammler genauso leidenschaftlich ihre Garagen leer wie die Werksmuseen und bringen jede Menge Siegerwagen an die Sarthe: Einen Steinwurf neben dem Mazda parkt zum Beispiel der Mercedes Sauber C9, mit dem die Schwaben 1989 gewonnen haben und übertönt alle paar Stunden den tosenden Lärm dieses gigantischen PS-Jahrmarktes, wenn die Mechaniker mal kurz sein Triebwerk anwerfen. Und daneben steht einer jener ganz frühen Flügeltürer, der schon dabei war, als Mercedes hier 1952 sein Comeback beim 24-Stunden-Rennen gefeiert und mit dem ersten Einsatz des 300 SL gleich einen Doppelsieg herausgefahren hat. Und weil Autos in Action mehr hermachen als auf dem Stand, geht der Flügeltürer natürlich auch auf die Strecke und umkurvt dabei die Displays von Alfa Romeo, Renault, BMW oder Porsche, die ebenfalls ihre heiligen Hallen geplündert haben.

Weil es kaum irgendwo sonst auf der Welt so ein großes Starterfeld bei historischen Rennen gibt und man den Boliden in den Boxen nirgendwo näherkommt, ziehen die Klassiker entsprechend viel Publikum an. Das wiederum hat selbst so viel Benzin im Blut, dass kaum jemand mit konventionellen Autos kommt. Selbst die Parkplätze sind eine Schau und die gestopft vollen Verbindungswege werden zum Laufsteg der automobilen Eitelkeiten: Nagelneue Ferrari neben historischen Fiat, Bentley-Oldtimer und BMW-Youngtimer, eine halbe Jahresproduktion von Morgan oder Caterham, Dutzende Klassiker von Renault und alte Porsche bis zum Horizont - meist sauber nach Marken sortiert, lässt Le Mans hundertfach die Automobilhistorie aufleben und wird zum Dorado der Petrolheads.

Da die Pits und Paddocks, in denen die Mechaniker an den Rennrentnern schrauben, während die Piloten über einem Gläschen Champagner und einem Teller Käse Benzingespräche mit den Passanten führen. Dort die PS-Paraden der Markenclubs auf den Parkplätzen und dazwischen in ,,LeVillage" ein Markt mit liebevollem Merchandising, Motorkunst und Accessoires - einem Angebot so bunt und vielschichtig wie die Autos drum herum. Denn vom Schlüsselanhänger für fünf Euro hin zum Unikat eines Motorenmalers für viele tausend Euro gibt es hier alles - den kostenlosen Haarschnitt oder eine schnelle Rasur auf alten Rennwagensitzen inklusive.

Weil das Gelände weitläufig ist und die Wege lang, hat der Veranstalter für Piloten und ausgewählte Gäste dabei einen eigenen Shuttle-Service organisiert. Und statt wie sonst Scooter oder stillose Golf-Karren übernehmen hier - wie könnte es bei einem Oldtimer-Festival anders sein - ein paar Klassik-Clubs bereitwillig diesen Job. Bevor Renn-Veteranen wie Klaus Ludwig, Ellen Lohr oder Karl Wendlinger in ihre viele hundert PS starken Sportwagen steigen, zuckeln sie deshalb mit bunten Enten, auf olivgrünen Army-Jeeps, Konfetti-farbenen Citroen Mehari oder im VW T1 übers Gelände und grinsen mindestens genauso breit wie nachher auf der Strecke.

Das Treiben beginnt mit dem Weckruf des Mazda 878B und es hört auch spät am Abend nicht auf. In Stundenschichten bis spät in die Nacht jagen die Rennwagen fein sortiert nach ihren Epochen über den Kurs und düsen mitten durch ein Open-Air-Kino, das sie kurz hinter dem Dunlop-Bogen aufgebaut haben, während in ,,LeVillage" Austern und Hummer serviert werden und vor jedem improvisierten Bistrot eine andere Band spielt.

Doch je später der Abend, desto stärker verlagert sich das Geschehen von den Tribünen auf die Camping-Plätze. Weil Le Mans trotz seiner zwei Mega-Events erstens wenige und zweitens keine guten Hotels hat und weil es bei so einem Rennwochenende einfach dazu gehört, schlafen viele der über 200.000 Besucher direkt an der Strecke. Die einen kommen im luxuriösen Motorhome wie sonst die Formel1-Fahrer, die anderen mieten Schlafcontainer, schlagen neben ihrem Bentley das Wurfzelt auf oder zelebrieren das Van-Life und kommen wie die Mercedes-Gäste im Wohnmobil. Und weil das hier ja schließlich ein Oldtimer-Festival ist, haben die Schwaben nicht nur ihre aktuellen V-Klassen mit Camping-Ausbau mitgebracht, sondern auch die Mutter aller Marco-Polos: Denn zwischen den neuen Schlafwagen mit Dachzelt und Küchenzeile reckt ganz selbstbewusst einer jener Mercedes-Transporter aus Bremen seine Stummelnase ins Bild, mit denen die Schwaben 1984 ihren Einstand auf den Campingplätzen dieser Welt gegeben haben.

Abenteuercamping für große Buben, eine Überdosis Benzin im Blut, Adrenalin vom Rennfahren und seligen Glanz in den Augen von poliertem Altmetall und Abgasen, die hier eingesogen werden wie anderenorts das Bouquet eines schweren Rotweins oder der süße Duft eines parfümierten Dekolletés - kaum jemand hat all die vielen Genussmomente beim besten Oldtimer-Event des Jahres offenbar so genial kombiniert wie Mike, der Nebenmann im Nachtlager. Denn als er am Morgen beseelt aus dem Dachzelt auf seinem klapprigen Nissan klettert, steigt er vom Schlaf- direkt in den Rennanzug, hüpft auf einen Willys, rollt rüber in die Box, wird vom Tribünengast zum Teilnehmer und stürzt sich mit seinem alten Rennwagen mit Vollgas in die Vergangenheit. Besser kann man das Hochamt der historischen Heizer kaum zelebrieren.

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