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Er gilt als der Ur-Typ des Supersportwagens und als wichtigster Meilenstein für Lamborghini Foto: Lamborghini
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Panorama: Rekonstruktion des ersten Lamborghini Countach - 25.000 Stunden für die Ewigkeit

Er gilt als der Ur-Typ des Supersportwagens und als wichtigster Meilenstein für Lamborghini. Doch ausgerechnet der allererste Countach ist kurz nach seiner Premiere vor 50 Jahren verschollen. Für einen besonders treuen Kunden haben die Italiener ihn deshalb jetzt noch einmal nachgebaut.

Mit dem Studium von Akten und Archiven kennen sie sich aus im Polo Storico. Denn seit Lamborghini vor sechs Jahren diese historische Abteilung gegründet hat, gehört die Recherche in alten Produktionsunterlagen zum täglichen Geschäft der Oldtimer-Spezialisten. ,,Wann immer irgendwo auf der Welt ein skeptischer Kunde einen alten Lamborghini kaufen will, können wir die Authentizität überprüfen und ihm so entweder seine Zweifel nehmen oder ihn vor einem faulen Deal bewahren", sagt Alessandro Farmeschi, der bei den Italienern den weltweiten Service verantwortet. Doch in den letzten vier Jahren sind seine Kollegen tiefer in die Schubladen gekrochen und haben mehr Ordner gewälzt, als er sich je hätte vorstellen können. Denn Ende 2017 ist ein ebenso betuchter wie begeisterter Sammler und Stammkunde auf sie zugekommen und hat sie mit einem ganz besonderen Auftrag aufgeschreckt: Ausgerechnet die Hüter der Historie sollten ihm ein nagelneues Auto bauen. Allerdings nicht irgendeines. Sondern den Prototypen des LP 500 Countach, mit dessen Debüt auf dem Genfer Salon 1971 die Italiener vor genau 50 Jahren die Sportwagenwelt aus den Angeln gehoben haben.

Zwar gilt der Countach seitdem als Archetyp des Supersportwagens und ist für die Identität der italienischen VW-Tochter wohl wichtiger als alle Autos nach ihm. Doch ausgerechnet dieser Meilenstein ist auf dem Weg verloren gegangen, wurde im März 1974 bei Crashtests zerstört und existiert deshalb nur noch in der Erinnerung. Oder besser: existierte. Denn binnen vier Jahren hat das Polo Storico den ewigen König der eiligen Stiere tatsächlich noch einmal gebaut und ihm so ein halbes Jahrhundert nach seiner Premiere zur Wiedergeburt verholfen.

Das war allerdings kein leichtes Unterfangen, stöhnt Farmeschi in der Rückschau auf das wohl aufwändigste Projekt des Polo Storico, das es bis dato gegeben hat und in Zukunft geben wird. Nachdem das originale Showcar für das Serienmodell geopfert und so richtig viel Papierkram damals offenbar auch nicht aufgehoben wurde, war die Datenlage entsprechend dünn, als Farmeschi & Co mit der Arbeit angefangen haben. ,,Wir mussten uns sogar mit Fotos aus alten Autozeitungen behelfen ", erzählt der oberste Werkstattmeister der Italiener von der Detailarbeit, die jedem Detektiv zur Ehre gereicht hätte: ,,Wir haben Monate lang recherchiert und unsere Nasen in altes Papier gesteckt, haben unzählige Besprechungsprotokolle gelesen und sogar ein paar Zeitzeugen ausfindig gemacht, die für uns in ihren Erinnerungen gekramt haben."

Auch die Zulieferer von damals haben ihren Anteil an der Wiedergeburt: Bei Pirelli haben sie die Originalentwürfe für den Cinturato CN12 gefunden, den sie jetzt mit altem Profil und moderner Gummimischung in den fast bescheidenen Dimensionen 245/60R14 für vorn und 265/60R14 für hinten neu gebacken haben. Und in den Archiven bei PPG fand sich noch die originale Rezeptur jenes giftigen und trotzdem warmen Gelbtons ,,Giallo Fly Speciale", in dem der Prototyp 1971 und 2021 lackiert wurde.

Als alles beisammen war, haben sich die Designer aus dem Centro Stile als tatkräftige Helfer erwiesen. Die haben den Countach zwar nicht neu gezeichnet, konnten aber bei vielen Bauteilen die Proportionen rekonstruieren und haben am Schluss vor allem ihre Supercomputer zur Verfügung gestellt, an denen binnen 2.000 Stunden aus all dem analogen und digitalen Datenwust ein 3D-Modell wurde.

Hört man Farmeschi erzählen, war der Rest von da an ein Kinderspiel. Klar, ist es ein bisschen komplizierter, ein Auto neu zu bauen, als einen Oldtimer zu reparieren. Doch bei knapp zwei Dutzend mehr oder minder kompletten Restaurationen im Jahr haben die durchweg honorigen und lang gedienten Spezialisten im Polo Storico allemal genug Erfahrung mit dem Rahmenbau, dem Biegen von Blechen oder dem Satteln von Sitzen, um den Wunsch des Kunden Wirklichkeit werden zu lassen. Dabei haben sie wann immer möglich auf originale Ersatzteile zurückgegriffen und so zum Beispiel auch einige Komponenten des Motors übernehmen können. ,,Doch was wir nicht am Lager hatten, wurde eigens für dieses Einzelstück neu produziert", erzählt Farmeschi.

Entsprechend groß waren Stolz und Freude, als der Wagen vor ein paar Wochen beim edlen Oldtimer-Concorso an der Villa D'Este seine Premiere gefeiert hat - selbst wenn es ihm nicht zum Klassensieg unter den Concept Cars reichte. Dafür allerdings ging der Wagen nur ein paar Tage später auf exakt jener Strecke auf Jungfernfahrt, auf der schon vor 50 Jahren der Countach das Laufen lernte und drehte ein paar Runden auf der Pista Vizzola Ticino. Von dort ging es zurück nach Sant'Agata, wo er jetzt noch ein paar Wochen im Werksmuseum zu sehen ist, bevor er - vermutlich auf Nimmerwiedersehen in einer mysteriösen Sammlung irgendwo im Nirgendwo verschwindet. Denn es ist kaum anzunehmen, dass sich der Eigentümer mit dem wohl exklusivsten Einzelstück aus bald sechs Jahrzehnten Lamborghini-Produktion noch einmal in den Straßenverkehr trauen wird.

Wie viel sich der Besitzer den Lückenschluss in der Lamborghini-Historie hat kosten lassen, darüber haben beide Seiten Stillschweigen vereinbart. Doch bei insgesamt mehr als 25.000 Arbeitsstunden braucht man nicht viel Phantasie, um sich einen hohen einstelligen Millionenbetrag zusammen zu reimen. Selbst wenn es am Ende sogar zweistellig gewesen sein sollte, wäre das noch ein Schnäppchen gemessen am Wert, den das Original heute wahrscheinlich hätte. Und viel näher ans Original als mit dem Nachbau durch das Polo Storico ist dem LP500 nicht mehr zu kommen.

Das weiß auch Aftersales-Chef Farmeschi und blickt deshalb mit berechtigtem Stolz auf seine Mannschaft. Aber auch mit einer gewissen Erleichterung. Denn noch einmal jedenfalls möchte er so ein Projekt nicht angehen. Zwar gäbe es durchaus noch ein paar Lücken zu schließen, räumt der Italiener ein. Doch der Nachbau ist genauso einzigartig wie der Countach selbst. Und so soll es auch bleiben. Und damit basta!

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