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Wie sieht der Stadtverkehr der Zukunft aus? Flüssig und freudvoll - verspricht Citroen und will hunderte autonome, elektrische Kapseln durchs Kapillarsystem der Cities schicken Foto: Citroen
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Panorama Citroen Urban Collectif - Im Zäpfchen auf Zeitreise

Wie sieht der Stadtverkehr der Zukunft aus? Stockend und stinklangweilig, sagen die Pessimisten. Flüssig und freudvoll - verspricht dagegen Citroen und will hunderte autonome, elektrische Kapseln durchs Kapillarsystem der Cities schicken. Dumm nur, dass dieses Urban Collectif bislang nicht viel mehr ist als eine schöne Idee.

Bislang hat Jean-Luc im Stau immer geschwitzt, weil er auf der Peripherique um seine Termine fürchten musste. Doch heute läuft dem Franzosen auf dem Weg um die Hauptstadt der Schweiß von der Stirn, weil er die Fahrt ins Büro für die Fitness nutzt. Während ihn eine elektrische Plattform autonom durch den kriechenden Verkehr chauffiert, sitzt er in einer Art gläsernem Riesen-Zäpfchen und rudert sich die Lunge aus dem Leib. Zwar war der Stau für ihn selten so anstrengend, doch hat der Sportmuffel jetzt eine Ausrede weniger, ist nach der Dusche im Büro produktiver und hat nach der Arbeit mehr von seinem Feierabend und von der Familie.

Dummerweise ist Jean-Luc eine Phantasiegestalt und sein mobiles Fitness-Studio nur der vorgezogene Teil einer Zukunft, die im besten Fall in fünf bis zehn Jahren beginnen könnte. Denn was da mit Rudergerät auf der einen und Liege-Ergomenter auf der anderen Seite statt über die Peripherique gerade durch eine Pariser Messehalle surrt ist Teil eines Mobilitätskonzepts, mit dem Citroen samt vieler Partner in einem ,,Urban Collectif" dafür sorgen will, dass die Städte lebenswert bleiben und deren Bürger trotzdem ihr vermeintliches Grundrecht auf individuelle Mobilität behalten können. Denn angesichts des weltweit ungebremsten Wachstums der Metropolen sieht Citroen-Chef Vincent Cobée das nachhaltig bedroht: ,,Entweder werden Autos kurzerhand ausgesperrt, oder das Autofahren wird so teuer, dass es sich kaum einer mehr leisten kann", malt er das düstere Bild einer nicht mehr ganz so fernen Zukunft. Und spätestens mit der Pandemie hat auch der öffentliche Nahverkehr mit U-Bahn und Bus seine alleinseligmachende Stellung bei den Stadtplanern verloren - von mangelnder Flexibilität, hohen Kosten und entweder zu viel oder zu wenig aber eben nie der richtigen Kapazität ganz zu schweigen.

Als Kompromiss zwischen automobilem Individualverkehr und öffentlichem Massentransport haben die Franzosen eine elektrische Plattform entwickelt, die autonom wie ein überdimensionales Skateboard durch die Straßen surrt und dabei sogenannte Pods von der Größe eines Berlingo transportiert, die von anderen Mitgliedern des Urban Collectif entwickelt und im Stadtgebiet verteilt werden. Bei der Premiere jetzt in Paris waren das eine rollende Hotelsuite und Champagnerlounge von Arccor, ein mobiles Fitnessstudio mit Rudergerät und Liegerad von Pullmann oder eine Art Parkbank auf Rädern, die der Stadtmarketing-Spezialist JCDecaux ?ins Rennen schickt. ,,Doch die Zahl der Aufbauten ist schier unendlich und schon nach 24 Stunden Brainstorming hatten wir Dutzende Ideen", sagt Cobée und zeigt auf eine Leinwand, über die Skizzen von Paketfahrzeugen, mobilen Apotheken, rollenden Schreibtischen, Werkstattwagen, Yoga-Suiten oder sogar Friseurstudios auf Rädern flimmern. In der Vision der urbanen Collectifisten sind die Skates so quasi rund um die Uhr unterwegs, nutzen ganz unterschiedliche Pods und die Kunden bestellen ihr mobiles Erlebnis bedarfsgerecht per Smartphone-App.

Das Prinzip erinnert ein bisschen an die Hütchenspiele: Nur dass hier niemand abgezockt wird, sondern es ausschließlich Gewinner gibt, hofft ein Citroen-Manager. Denn in der Stadt sind mit diesem Prinzip weniger Fahrzeuge unterwegs und der Verkehr fließt besser, die Elektrifizierung lindert die Luftverschmutzung und statt die Zeit im Stau einfach abzustehen, bekommen die endlosen Stunden auf der Straße endlich wieder einen Sinn - und wenn es nur etwas Ruhe in der Rushhour ist.

Die Idee ist zwar nicht ganz neu und wurde vor allem bei Nutzfahrzeugen schon öfter durchgespielt. Doch niemand hat dabei so weit gedacht wie die Franzosen. Denn nicht nur das Skate selbst ist besonders innovativ, weil zum Beispiel großen Akkus induktiv geladen werden. Oder weil Goodyear spezielle Motoren entwickelt hat, die in kugelrunden Reifen groß wie Medizinbälle integriert sind und damit Fahrbewegungen in jede erdenkliche Richtung erlauben, so dass die Skates auf der Stelle wenden, diagonal oder quer fahren können und auch noch in die letzte Lücke passen. Auch die Idee mit den Pods der Partner ist genial. Denn im Grunde ist das der gleiche Open-Source-Ansatz wie beim Smartphone und so, wie es fürs Handy unzählige Apps für jede Gelegenheit gibt, stehen in dieser Vision für die 2,60 Meter langen und 1,60 Meter breiten Skates auch zahllose Pods bereit.

Und ganz nebenbei drückt dieses Konzept die Kosten: Denn auch wenn jedes Skate mit dem Antrieb, der Sensorik und der Intelligenz fürs autonome Fahren vielleicht mehrere hunderttausend Euro kostet, wird das Gesamtfahrzeug plötzlich bezahlbar, wenn man den Preis durch ein Dutzend Pods teilt, rechnen die Franzosen vor. Erst recht, wenn es im Grunde 24 Stunden am Tag im Einsatz ist, statt die meiste Zeit nur auf einem Parkplatz herumzustehen. Und weil das System erst einmal auf Tempo 25 ausgelegt ist und auf eigene Fahrspuren, muss die Technik ja auch nicht ganz so ausgefuchst sein wie bei einem autonomen Auto für alle Lebenslagen, gibt Cobée dem System zusätzliche Bodenhaftung.

Doch so gut das Andocken in der Pariser Messehalle bereits funktioniert, so kuschelig man in der Arcor-Lounge sitzt und so flink die Pods dort über den Boden surren, müssen jetzt erst einmal die Ingenieure schwitzen, bevor Jean Luc tatsächlich in seinem Pod zum Workout auf die Peripherique kann. Denn fünf bis zehn Jahre werden sie wohl noch brauchen, bis das Skate auch draußen auf der Straße fährt, bis die Pods gebaut sind und das Koppeln immer und überall klappt, räumt Cobée ein. Und selbst dann ist das Projekt noch nicht in trockenen Tüchern - denn ohne Partner in den Städten, bei den Verkehrsverbünden und bei Unternehmen wie Arccor & Co. kommt die Sache nicht ins Rollen. Das weiß natürlich auch der Citroen-Chef, doch will er sich davon nicht entmutigen lassen: ,,Unser größter Fehler wäre, wenn wir es mit neuen Ideen nicht wenigstens versuchen würden."

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