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Heute ist die RAF-Basis in Bicester zwischen London und Birmingham der Nabel der britischen Oldtimer-Szene Foto: Bicester Heritage
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Panorama: Bicester Heritage - Zwischen gestern und morgen

Früher sind von hier aus die Bomber der Royal Air Force gestartet. Doch heute ist die RAF-Basis in Bicester zwischen London und Birmingham der Nabel der britischen Oldtimer-Szene. Und auch die Brutstätte für die Fans und Fachleute von morgen.

Jedes Mal, wenn ihn die Hüfte schmerzt, kommen die Erinnerungen. Doch auch wenn ihn der Unfall bei einer Oldtimer-Rallye für ein paar Wochen außer Gefecht gesetzt hat, denkt Daniel Geoghegan an diese Zeit nicht im Groll zurück. Im Gegenteil. Denn in jener Zeit hat der Investmentbanker eine Idee entwickelt, die nicht nur sein Leben umkrempeln sollte, sondern zugleich die ohnehin schon relativ vitale Oldtimer-Szene im Großbritannien. Während er ans Bett oder später zumindest an Krücken gefesselt war, reifte in ihm der Plan für einen neuen Nabel in der Welt der alten Autos, der dem Geist dieser Zeit gerecht werden würde. ,,Die Generation der Garagenschrauber geht so langsam zu Ende", hat er beobachtet: ,,Die Kunden wollen nicht nur Expertise, sondern ein Erlebnis, erst recht, wenn sich auch ihre Frauen und die Familie dafür begeistern sollen. Mit schmuddeligen Werkstätten irgendwo auf dem platten Land kann man die kaum mehr locken, selbst wenn dort noch so begnadete Schrauber am Werk sind."

Das ist jetzt acht Jahre her und heute sitzt Geoghegan im hübschen Clubzimmer eines Backsteinbaus am Rande von Bicester, eine Stunde nördlich von London und eine Stunde südlich von Birmingham, und lässt den Blick schweifen über ein Paradies für Petrolheads, das zum neuen Magneten der Oldtimer-Szene auf der Insel geworden ist. Denn auf dem ehemaligen Luftwaffenstützpunkt der Royal Air Force sind die Baracken und Hangars, die Wohnhäuser und Werkstätten nach Jahrzehnten des Verfalls und der Abstinenz mittlerweile wieder gut gefüllt - mit Oldtimer-Spezialisten vom Motorenbauer bis zum Sattler, mit Restauratoren und Restaurants, mit Fahrschulen und Feinkostläden und sogar mit einer Brauerei und einer Gin-Destille. ,,Unsere Idee war ein Countryclub für Car-Guys, in dem sich aber die ganze Familie wohl fühlt, wo sich niemand für eine Ausfahrt aus dem Haus stehlen muss, sondern alle begeistert mitkomme", umreißt er das Konzept.

Einfach war das freilich nicht, erinnert sich Geoghegan. Erst musste er mit dem Verteidigungsministerium verhandeln. Und als alle Verträge in trockenen Tüchern waren, musste er das Areal in Besitz nehmen - was gar nicht so einfach ist, wenn man nur einen Korb mit hunderten Schlüsseln bekommt und einem niemand sagt, welcher davon zu welcher Tür und welchem Bau passt, erzählt er mit einem Lachen. Ach ja, und ein paar Millionen mussten er und seine Geschäftspartner in das Projekt ,,Bicester Heritage" auch noch investieren.

,,Doch die Arbeit hat sich gelohnt", freut sich Geoghegan und streicht sich mit einem Lächeln über die schmerzende Hüfte. Denn mit 45 Firmen ist das Areal ausgebucht und auf der Warteliste stehen noch zehnmal so viele. Vor allem aber freut er sich, dass viele der denkmalgeschützten Gebäude wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung dienen - oder beinahe zumindest. In der Flugmotorenwerkstatt werden jetzt Automotoren nachgebaut, in der Offiziersmesse ist der Clubsaal, die Start- und Landebahn ist die lange Gerade der Rennstrecke, die sich über das gesamte Flugfeld schlängelt. Und selbst in der Kapelle wird wieder eine frohe Botschaft verkündet, wenngleich keine religiöse. Denn dort hat das Kultmagazin Road Rats seine Redaktion eingerichtet. Sogar den ersten Autohersteller hat Geoghegan bereits angesiedelt - die Little Car Company. Deren Name ist gleich doppelt gerechtfertigt. Erstens, weil die Firma vergleichsweise klein ist und nie mehr als ein paar hundert Autos im Jahr bauen wird. Und zweitens, weil auch ihre Fahrzeuge etwas kleiner sind als üblich: 75 Prozent der originalen Größe haben Bugatti Type 35, Aston Martin DB5 und Ferrari Testa Rossa, die für Kinder von 14 Jahren aufwärts gedacht sind und politisch korrekt rein elektrisch fahren. Dass sie deshalb aber alles andere als Spielsachen sind, merkt man beim Blick auf das bisweilen sechsstellige Preisschild genauso wie beim Ausflug auf die ehemalige Landebahn, wo jedes einzelne Exemplar ordentlich eingefahren wird - mit bis zu 80 km/h.

Die Little Car Company gehört auch deshalb zu Geoghegan Favoriten, weil sie mit ihren E-Motoren die Brücke schlägt zu seinen weiteren Plänen. Denn der Initiator will es nicht bei Oldtimern belassen, sondern sich der Mobilität in all ihren Facetten widmen. Schließlich hat er noch drei Quadranten auf seinem Areal zu füllen: Bald schon soll es deshalb ein Innovation-Quarter für Start-Ups, Forschungsabteilungen und Zulieferer für Zukunftstechnik geben. Den etablierten Autoherstellern will er, ähnlich wie in der Autostadt in Wolfsburg im Experience Quarter, Marken-Paläste errichten und drum herum ein paar Teststrecken bauen. Dem Trend zum Offroad-Abenteuer trägt er mit einem Wilderness-Parcours Rechnung. Ach ja - und ein bisschen will Geoghegan Bicester auch seiner ursprünglichen Bestimmung zurückgeben. Nachdem dort 1911 die ersten Flieger abgehoben sind, soll die Bicester Aerodrome Company die Freunde der Fliegerei anlocken und ähnlich wie bei den Autos auf der anderen Seite der Startbahn den Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft schlagen. Und weil daraus im Zusammenspiel eine der 20 größten Touristenattraktionen im Land entstehen soll, wird es auch ein großes Hotel mit wohl über 200 Zimmern, Konferenzbereich und natürlich jeder Menge Wellness geben.

Zwar registriert er ein riesiges Interesse und glaubt fest an eine große Zukunft für alte Autos, aber Geoghegan weiß aber auch, dass der Stellenwert des Autos in der Gesellschaft - nun ja - tendenziell nicht weiter steigen wird, und dass die Generation iPhone womöglich andere Interessen hat als Zylinderköpfe und Ledersitze. Deshalb kümmert sich Bicester Heritage auch intensiv um die Nachwuchspflege: In Kooperationen mit einer Reihe von Hochschulen haben sie bereits mehrere hundert Handwerker für alle bei ihnen relevanten Berufe ausgebildet, an ihren Publikumstagen dürfen selbst Kids mal einen Oldtimer übers Rollfeld steuern, und damit die Infektion mit  dem PS-Virus auf jeden Fall klappt, haben sie eine Flotte mit einem Dutzend Klassikern angeschafft, die sie besonders aussichtsreichen Nachwuchsfans für zwei Wochen mit nach Hause geben. Das ist eine Strategie, die zwar aufwändig sein mag, dafür aber aussichtsreich ist, sagt Geoghegan: ,,Denn wer mal zwei Wochen einen Klassiker fahren konnte, der kommt garantiert auf den Geschmack und bleibt uns auf Dauer erhalten."

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