Die mid-Zeitreise: Suzuki GSX-R 1100 W - ausgereift und kompromisslos

Am 8. Mai 1995 berichtete der Motor-Informations-Dienst (mid) im 40. Jahrgang über die Suzuki GSX-R 1100 W Rennmaschine.


Am 8. Mai 1995 berichtete der Motor-Informations-Dienst (mid) im 40. Jahrgang über die Suzuki GSX-R 1100 W Rennmaschine.

Gehört die Suzuki GSX-R 1100 W nur in kundiger Hand auf die Rennstrecke, oder wird der "normale" Biker mit ihr auch im Alltagsbetrieb in der Stadt, auf Eifelsträßchen oder den langen Autobahnetappen glücklich? Modellpflegemaßnahmen wie Gewichtsreduzierung, Verstärkungen an Rahmen, Verkleidung und Motoraufhängung, eine neue Upside-Down-Telegabel und ein drehmoment-optimierter Motor machen die aktuelle 1100er jedenfalls attraktiver denn je. Der erste Eindruck ist respekteinflößend. Auffällig lackiert, der Doppelscheinwerfer in der Vollverkleidung integriert, der mächtige 180er Hinterreifen und die riesigen Bremsscheiben und Auspuffrohre sorgen für einen eindrucksvollen Auftritt.

Nach dem Platznehmen fällt man automatisch nach vorne, und sogleich finden die Hände die tiefliegenden Lenkerstummel. "Sportlich, sportlich" denkt man sich und dann registriert auch schon das Auge die beeindruckende bis 320 km/h reichende Tachoskala. Nun, mag die Suzie auch in der offenen Motorleistung rekordmäßige 113 kw/155 PS produzieren, die gefahrene 72 kW/98 PS Variante gibt sich bescheidener. Hat man sich an die gefühlvolle Dosierung des Lenker-Chokes gewöhnt, springt die wassergekühlte Maschine zuverlässig per E-Start an und lässt sich anstandslos warmfahren. Der Reihenvierzylinder schickt im Stand mechanische Geräusche zum Fahrerohr, die später durch einen vibrationsarmen Motorlauf abgelöst werden. Sofort spürt man, dass Hubraum eben doch durch nichts zu ersetzen ist: Das "satte" Gefühl, Drehzahlunabhängig oder bei Fahrten mit Sozia stets Leistung satt per leichter Gasgriffbewegung abrufen zu können. So sorgen die 1.074 ccm Brennraum und das maximale Drehmoment von 92,5 Nm bei nur 4.500 U/min des Suzuki-Vierventilers dafür, dass Antritt, Durchzugsstärke und Power nach oben hin kaum Wünsche übrig lassen. Diese Drosselversion reicht für eine Tachospitze von 245 km/h. Und das ist auch genug.

Der Benzinverbrauch könnte geringer ausfallen: Der Minimalverbrauch liegt bei 5,5 Litern bleifrei Normal auf 100 km, während es bei flotten Autobahnfahrten auch schon mal 7,5 Liter und mehr sein dürfen. Immerhin sind mit dem 21 Liter-Tank normalerweise 300 km Reichweite drin. Im Getriebe finden sich fünf Gänge, die sich per schwergängiger Kupplung zwar sehr trocken, aber präzise einlegen lassen.

Der Stadtverkehr ist eine lästige Pflichtübung, zu sehr werden die Handgelenke mit dem ganzen Gewicht des Oberkörpers belastet. Und auch kleinere Landstraßen sind nicht das Metier der kräftigen Suzie. Erst schnelle Abschnitte auf unverstopften Autobahnen oder auf Landstraßen in einsamen Gegenden lassen die 1100er ihre Bestimmung finden. Der Fahrer und seine Handgelenke werden spürbar vom Winddruck entlastet und die guten Windschutz bietende Verkleidungsscheibe erleichtert das Schnellfahren sehr. Ein Dauertempo bis zu 200 km ist kein aerodynamisches Problem, sondern eine Sache des Verkehrs. Das Fahrwerk spielt hier souverän mit.

Stur und verwindungssteif läuft das Suzuki-Flaggschiff selbst bei Höchsttempo geradeaus und auch langgezogene Kurven werden mit Bravour gemeistert. Die vielfach verstellbaren Federelemente vermitteln selbst auf unebenen Fahrbahnen einen guten Kompromiss zwischen annehmbarem Komfort und direktem Straßenkontakt. Das Fahrwerk ist einfach konsequent auf Fahrstabilität ausgelegt und weitaus weniger auf Handlichkeit. Wechselkurven fordern ihren Tribut in Form von Kraftaufwand. Korrigieren in Kurven gestattet das Big-Bike nur begrenzt und unwillig. Dafür stimmt die Lenkpräzision. Und der einmal eingeschlagene Kurs lässt sich dank Lenkungsdämpfer auch von einem Schlagloch kaum irritieren.

Während die Bremsverzögerung den Fahrleistungen angemessen ist, scheiden sich die Geister bei der Dosierung. Die Sturzverdächtige Gefahr des Überbremsens besteht bei der GSX-R kaum, oder wenn, dann muss man schon gewaltig hinlangen. Das permanente Zusammenbremsen der 248 kg schweren Kettenmaschine vor Kurven bei sportlicher Fahrweise strapaziert einmal mehr die Muskulatur. Darüber hinaus wird jeder Beifahrer über 1,55 Meter Länge gefordert. Knie unterm Kinn, beim Beschleunigen und Bremsen krampfhaft nach einem Halt suchend, lassen andererseits umgehend den Wunsch nach einem eigenen Motorrad aufkommen. Die Ausstattung weist ruhig anzeigende Instrumente mit zu kleiner Skaleneinteilung, funktionelle Spiegel, eine zuverlässige Benzinreserveleuchte und eine ordentliche Lichtausbeute auf. Ein Hauptständer würde Wartungsarbeiten wie Kette schmieren sehr erleichtern.

Gut 20.000 DM verlangt Suzuki für seine ausgereifte und kompromisslose GSX-R 1100 W, was bereits in der gedrosselten Version relativ viel Motorrad fürs Geld bedeutet.

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