Sicherheit: Volvo will den Elefant kleiner machen

'Wenn es um Sicherheit geht, haben wir einen Elefant im Raum.' Dieser Satz rutscht Hakan Samuelsson nicht einfach so raus, als er in Göteborg bei einem Journalisten-Workshop vor die Presse tritt. Der Volvo-Chef weiß genau, dass es nach seinem Ausruf auf dem Autosalon in Genf weiteren Erklärungsbedarf gibt.


"Wenn es um Sicherheit geht, haben wir einen Elefant im Raum." Dieser Satz rutscht Hakan Samuelsson nicht einfach so raus, als er in Göteborg bei einem Journalisten-Workshop vor die Presse tritt. Der Volvo-Chef weiß genau, dass es nach seinem Ausruf auf dem Autosalon in Genf weiteren Erklärungsbedarf gibt. Dort hatte er Branche und Kunden gleichermaßen überrascht, dass seine Autos ab Modelljahr 2021 auf Tempo 180 begrenzt sein werden.

In Göteborg wird das Fenster dieser Botschaft noch weiter geöffnet. Denn neben zu schnellem Fahren sieht Volvo zwei weitere Problemfelder, die es schwer machen, das 2007 gegebene Versprechen einzulösen, dass ab 2020 kein Mensch mehr in einem Volvo getötet oder ernsthaft verletzt wird: die Ablenkung beim Fahren und der Einfluss von Alkohol oder Drogen.

Zunächst sorgt Volvo beim Workshop, der mit dem 60-Jahre-Jubiläum des Dreipunkt-Sicherheitsgurtes zusammenfällt, für einen emotionalen Auftakt: In einem Film mit ästhetischen Bildern schildern Martin und Anna, wie sie an einem Weihnachtstag zu einer Familienfeier unterwegs sind und von einem entgegenkommenden Fahrzeug "abgeschossen" werden. Trotzdem klettern sie allesamt unverletzt aus dem Auto. Bewegend, wie beide dann plötzlich als reale Personen auf der Bühne stehen und ihre Geschichte live erzählen. Freilich, mit Tempo 180 hat das nichts zu tun.

Dann rollt Volvo seinen Maßnahmenteppich aus, wie die Themen Ablenkung und Fahruntüchtigkeit des Lenkers beackert werden sollen. Ein ausgetüfteltes System von Innenkameras, die auf den Fahrer ausgerichtet sind, arbeitet mit Sensoren zusammen, die aus den Reaktionen des Fahrers ablesen, wie es um seine Fitness steht. Beispiele dafür sind länger ausbleibende Lenkbewegungen, geschlossene Augen, lange von der Straße abschweifende Blicke, Schlangenliniefahren oder extrem träge Reaktionen. Im Ernstfall startet eine Warnkaskade, die ihm zunächst die Chance gibt, selbst zu reagieren. Bleibt das aus, wird er von der "Volvo on Call" Einsatzzentrale angesprochen, die nach seinem Befinden fragt. Kommt dann immer noch nichts, hält der Wagen am Straßenrand an.

Einen anderen Ansatz verfolgt der "Care Key". Mit diesem Autoschlüssel kann der Besitzer die Höchstgeschwindigkeit seines Autos begrenzen. Ein sinnvolles Angebot, zum Beispiel, wenn ein Fahranfänger auf Tour geht. Auf die Frage, welcher Minimalwert einstellbar ist, muss Samuelsson passen. Offensichtlich wird darüber bei den Entwicklern noch diskutiert. Nicht einfach: Denn nichts wäre ätzender, als dass dem Auto bei einem normalen Überholvorgang im falschen Moment die Puste ausgeht.

Auch die Frage, warum sich Volvo ausgerechnet für Tempo 180 als oberes Limit entschieden hat, findet keine Antwort, die sich auf wissenschaftlich erhärtete Fakten stützt. Der Deckel für die Geschwindigkeit soll einfach ein Signal sein. Vielleicht der Start zu einer Diskussion in der Gesellschaft oder der Autobranche. Ob und wie sich diese freiwillige Selbstbeschränkung auf die Verkaufszahlen auswirken wird, speziell in Deutschland, ist völlig unklar. Die verunsicherten Volvo-Händler klatschen momentan nicht vor Begeisterung Beifall.

Aber Samuelsson und seine Truppe nehmen an diesem Abend in Göteborg nicht nur etwas weg, wie dem Elefanten die Größe, sondern sie packen auch ein Füllhorn aus. Denn Volvo macht die Datenbank seiner Unfallforschung allen Autoherstellern zugänglich und startet das Projekt E.V.A.(Equal Vehicles for All).

Wie schon der Dreipunktgurt sollen Sicherheitsgewinne nicht nur die Volvos sicherer machen. Zehntausende Unfälle auf der Straße wurden bislang ausgewertet, um technische Lösungen zu entwickeln, die das Fahren für alle Menschen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, sicherer machen. Mittendrin in dieser Masse findet sich - natürlich anonymisiert - auch der Unfall von Martin und Anna samt ihren Kindern. Bei ihnen hat der schwedische Autohersteller sein Versprechen von 2007 schon vor 2020 eingelöst.

Klaus Brieter / mid

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