Profilneurose mit bitteren Folgen

Mit abnehmendem Reifenprofil verändern sich die Fahreigenschaften. Besonders auf nassen oder winterlich verschneiten Straßen sind die Leistungseinbußen abgenutzter Pneus dramatisch, wie eine Messreihe von Reifenexperten zeigt.


Mit abnehmendem Reifenprofil verändern sich die Fahreigenschaften. Besonders auf nassen oder winterlich verschneiten Straßen sind die Leistungseinbußen abgenutzter Pneus dramatisch, wie eine Messreihe von Reifenexperten zeigt.

Völlig klar: Wer zum Ski-Urlaub aufbricht, fährt nicht mit Sommerreifen los. Abgesehen von den gesetzlichen Regelungen hier und im Ausland, wie die Winterausrüstung auf verschneiten oder vereisten Straßen auszusehen hat, will niemand unfreiwillig im Straßengraben landen. Soweit, so gut. Aber ein guter Winterreifen an sich ist noch keine Garantie dafür, dass der Sicherheitsstandard auf dem höchsten Niveau rangiert.

In diesem Zusammenhang macht eine Messreihe nachdenklich, die von Reifen-Ingenieuren bei Continental durchgeführt wurde. Am Anfang der Überlegungen stand die Frage, inwieweit die Profiltiefe die Leistung des Reifens bei unterschiedlichen Fahrbahnverhältnissen beeinflusst. Um sich einen umfassenden Überblick zu verschaffen, zogen die Tester ihre Versuche mit Sommer-, Winter- und Ganzjahresreifen durch.

Zunächst die beruhigende Botschaft: Auf trockener Straße bemerkten die Spezialisten keine Einbußen bei den Fahreigenschaften bei abnehmender Profiltiefe. Ganz im Gegenteil: Auf trockener Straße wurden die Bremswege kürzer, zudem verringerte sich der Rollwiderstand (positiver Einfluss auf den Verbrauch). Der verhaltene Jubel endet bereits, wenn die Straße nass oder schneebedeckt ist: längere Bremswege, schneller im Aquaplaningbereich und schlechtere Wintereigenschaften.

Geht es allein um das Bremsen, erschreckt der überproportionale Leistungsschwund des Reifens. Ausgehend von einer Profiltiefe von acht Millimetern nimmt die Bremsleistung bis zu einem Restprofil von vier Millimetern pro Millimeter um zwei Prozent ab. Zwischen vier und zwei Millimeter sind es dann schon vier Prozent pro Millimeter. Da die Prozentzahlen hochtheoretisch klingen, muss man sich das Ergebnis eben plastisch machen. Vielleicht so: Bremst man mit Winterreifen auf Schnee, dann verlängert sich der Weg bis zum Stillstand mit einem Restprofil von vier Millimeter um 14 Meter. Das sind rund drei Fahrzeuglängen. Ist das Profil bis auf die gesetzliche Mindesttiefe von 1,6 Millimeter abgefieselt, muss man bereits 26 Meter - das sind rund fünf Fahrzeuglängen - aufaddieren.

Oder anders ausgedrückt: Würde an der Stelle, an der ein Wagen mit gut profiliertem Winterreifen sicher angehalten hat, der Vordermann stehen, dann würde man ihm mit einer Restgeschwindigkeit von rund 34 km/h ins Heck kacheln. Sofern dadurch nicht sogar Personen zu Schaden kämen, wäre ein teurer Blechschaden die Folge des misslungenen Abbremsens.

Was bedeutet diese Erkenntnis in der Praxis? Es hat einfach keinen Sinn, Reifen bis zum erlaubten Minimum runterzufahren. Besser ist es, schon vorher auf neue Pneus umzusteigen. Die Reifenexperten empfehlen aufgrund dieser Messungen, Winterreifen mit weniger als vier Millimetern (ist auch Mindestprofiltiefe in Österreich) gegen neue auszutauschen. Bei Sommerreifen gilt dieser Rat bei drei Millimetern Restprofil.

Zudem ist es hilfreich, sich darauf einzustellen, dass bei Nässe und Schnee die guten Leistungen neuer Reifen mit jedem Millimeter Profilabrieb spürbar nachlassen. Dieses Wissen schärft auf jeden Fall den Sinn, wenn es darum geht, auf winterlichen Straßen mit reduziertem Tempo und deutlich vergrößertem Abstand zum Vorausfahrenden unterwegs zu sein. Schließlich will man nicht nur im Wintersportgebiet sicher unterwegs sein, sondern auch die An- und Abfahrt ohne Blessuren überstehen.

Klaus Brieter / mid

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