Mit Erdgas auf Langstrecke

Auch für schwere Trucks gibt es eine Alternative zum Diesel. Starke Gasmotoren mit großen Thermotanks bieten die nötigen Reichweiten fürs Langstreckengeschäft. Jetzt gehen zwei Hersteller in Vorlage, weitere Anbieter werden folgen.


Auch für schwere Trucks gibt es eine Alternative zum Diesel. Starke Gasmotoren mit großen Thermotanks bieten die nötigen Reichweiten fürs Langstreckengeschäft. Jetzt gehen zwei Hersteller in Vorlage, weitere Anbieter werden folgen.

Egal, ob die Lautsprecher "Nikola" oder "Tesla" heißen. Batterien oder Brennstoffzellen sind heute oder morgen keine Antriebsalternativen zum Dieselmotor, wenn es um den schweren Lkw-Fernverkehr geht. Wenn man aber schon heute eine Lösung braucht? Vielleicht, weil man in einem Umfeld liefern muss, das Fahrverbote für Diesel diktiert und Lärmschutzauflagen vorschreibt? Mit einem Erdgasmotor unter dem Fahrerhaus wären heutige Restriktionen erfüllbar.

Nahezu kein Feinstaub, bis zu 15 Prozent weniger CO2 als beim Diesel, dazu deutlich geringere Geräuschemissionen.
Das macht sich der italienische Hersteller Iveco zunutze, er propagiert schon seit vielen Jahren Gasmotoren. Schon mal aus einem einfachen Grund: In Südeuropa, in Frankreich und in anderen Regionen fahren unzählige kommunale Fuhrparks traditionell mit Gas. Iveco hat seine Gasmotoren stetig modernisiert, anders als weiter im Norden. Dort war der Erdgas-Hype abgeflaut, zu billig war der konventionelle Dieselkraftstoff und vermeintlich zu sauber die Verbrenner.

Heute, wo wieder mal alle Fakten auf den Tisch kommen, hat Iveco die Nase vorn. Dort spricht man von der Serienreife der LNG-Tank- und Motortechnik (= Liquified Natural Gas). Der Treibstoff Erdgas wird tiefkalt bei minus 162 Grad verflüssigt. Dann entspricht ein Kilogramm LNG energetisch 1,39 Liter Diesel. Die hohe Energiedichte von LNG, gegenüber dem CNG-Kraftstoff beträgt sie etwa das 600-fache, macht große Reichweiten möglich. Mit Tankformaten von 540 Litern soll man laut Iveco gut und gern 800 Kilometer weit kommen. Ihre ersten Erfahrungen haben die Iveco-Techniker mit ihrem Stralis NP 400 gemacht. Der 8,7 Liter große (oder kleine) Cursor 9-Sechszylinder liefert 400 PS und 1.700 Newtonmeter maximales Drehmoment, genug für Transporte eher im Volumen- als im Nutzlastsegment. Und nur wenige Monate später legen die Italiener nochmal nach. Ihr Cursor 13 als Gasmotor liefert standesgemäße 460 PS und bis zu 2.000 Newtonmeter, genug für 40-Tonnen-Züge.

Dass das Thema "LNG" keine Eintagsfliege ist, bestätigen die forcierten Aktivitäten des schwedischen Herstellers Volvo. Auch die Göteborger forschen und entwickeln nicht erst seit gestern am tiefkalten Kraftstoff. Wir haben nochmal ins Archiv geschaut: Vor gut zehn Jahren durfte man in Schweden einen FH-Dreiachser erleben, der mit Biogas und Biodiesel fuhr. Beide Kraftstoffe wurden nach dem Dieselprinzip verbrannt, der Truck führte zwei Tanks und Einspritzsysteme mit sich. Jetzt nach einem Jahrzehnt bekommen wir es mit Volvo-Sattelzügen zu tun, die Erdgas unter Beimischung kleiner Dieselgaben verarbeiten. Die Schweden sagen: "Bei unseren LNG-Motoren muss der Kunde keinen Verzicht üben. Er bekommt das gleiche Drehmoment wie beim Diesel und vergleichbare Wirkungsgrade".

Auch bei Scania positioniert man sich mit neuen Gasmotoren. Bislang waren es die kleineren Neunliter-Fünfzylinder, die mit CNG gefüttert wurden. Die Südschweden arbeiten ebenfalls an der LNG-Technologie, ihr erster Motor für den Fernverkehr heißt "OC13". Dahinter steckt der bekannt-bewährte 12,7-Liter-Sechszylinder, der mit stöchiometrischer Verbrennung nach dem Ottoprinzip Erdgas verbrennt. Der Reihensechser ist für 410 PS und 2.000 Newtonmeter gut, er arbeitet grundsätzlich einem hauseigenen Opticruise-Getriebe zu. Ein einfacher Dreiwege-Katalysator reicht, um die demnächst geforderten Schadstoffnormen einzuhalten.

Scania weist auch darauf hin, dass der OC13 die PIEK-Lärmschutzrichtlinie erfüllt. Die schreibt für Wohngebiete und lärmgeschützte Areale maximal 72 dB(A) vor, damit darf der LNG-Scania auch nachts Kaufhäuser und Märkte in Innenstädten beliefern. Für Ölwechsel und das Erneuern der Zündkerzen sieht Scania ein Intervall von 45.000 Kilometern vor. Den ersten Auftrag für ihren OC13 haben die Schweden bereits, mit 100 LNG-Trucks sollen VW-Spediteure beglückt werden.

Und hier geht es erst mal um ein Gerücht. Auch bei Daimler möchte man dem regen LNG-Treiben nicht tatenlos zusehen, was man ja verstehen kann. Wenn die Informationen stimmen, darf man bereits zur IAA Nutzfahrzeuge im Herbst 2018 mit einem großen Gasmotor rechnen. Man spricht von einer Diesellösung, aber weiter möchten wir uns nicht aus dem Fenster lehnen. Denn ein Gerücht bleibt immer noch ein Gerücht.

Bleibt das Betanken der LNG-Tanks: Es ist markenübergreifend gleich. Vielleicht nicht so trivial wie die Befüllung mit Diesel, aber mit dem Wissen um die sicherheitsrelevanten Vorkehrungen ähnlich kurz. Jedenfalls einfacher als die zeitraubende Ladung von großen Hochvoltbatterien, der Fahrer oder Tankwart muss allerdings Schutzkleidung mit Arbeitsbrille, Handschuhe und Sicherheitsschuhe tragen. Dann erdet er die Tankstelle und reinigt mit einer Druckluftpistole den Schlauchanschluss von Eisresten. Mit einem massiven Schraubverschluss (Twistlock) wird angedockt und verriegelt, dann darf der LNG-Treibstoff in den Thermotank des Fahrzeugs strömen. Die Konzentration auf den Vorgang sichert eine sogenannte "Tot-Mann-Regelung", der Bediener muss jede Minute einen Schalter drücken. Nach der Befüllung wird die Verbindung zum Tank wieder gelöst - in umgekehrter Reihenfolge, mit einiger Übung fällt das Betanken nicht schwer.

Und dennoch: Die LNG-Kehrseite bleibt bis auf weiteres die mangelnde Kraftstoffversorgung. Selbst im Vergleich zum dünnen CNG-Netz sieht es für LNG-Fahrer noch düster aus. Luft nach oben zeigen die Zahlen: Seit der Eröffnung der ersten LNG-Tankstelle im Jahr 2011 sind heute 150 Stationen in Europa in Betrieb. Iveco sieht der Zukunft freilich optimistisch entgegen: Wöchentlich kämen zwei bis drei Neueröffnungen dazu, heißt es.

Wolfgang Tschakert / mid

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