Infiniti: Sport-Hybrid mit Formel 1-Genen statt Öko-Schaukel

Bei Hybriden denkt so mancher sportlich ambitionierte Fahrer generell an spaßbefreite Öko-Schaukeln. Eine Fehleinschätzung! Nicht nur nutzen die Referenz-Supersportler unserer Zeit die zusätzliche Kraft durch E-Motoren, auch die Königsklasse des Motorsports setzt auf die Kraft der zwei Herzen. Infiniti will nun zusammen mit Renault Sport die in der Formel 1 eingesetzte Technik auf Serienfahrzeuge übertragen. Ein Blick hinter die Kulissen.


Bei Hybriden denkt so mancher sportlich ambitionierte Fahrer generell an spaßbefreite Öko-Schaukeln. Eine Fehleinschätzung! Nicht nur nutzen die Referenz-Supersportler unserer Zeit vom Schlage eines Porsche 918, McLaren P1 oder Ferrari LaFerrari die zusätzliche Kraft durch E-Motoren, auch die Königsklasse des Motorsports setzt schon seit einigen Jahren auf die Kraft der zwei Herzen. Es kommt eben immer darauf an, wie man ein Konzept umsetzt.

Infiniti zum Beispiel nutzt Hybrid-Technik bereits seit 2011 konsequent dazu, seinen Fahrzeugen eine Extra-Portion Dynamik zu verleihen - quasi "als eine Art Turbo" wie es Motorsport-Chef Tommaso Volpe ausdrückt. Mit einem gewissen Stolz ergänzt er: "Nicht umsonst stellen wir seit 2011 die schnellste Premium-Hybrid-Limousine auf der Viertelmeile." Doch die Entwicklung schreitet rasant voran. Jetzt will die Premium-Marke der Renault-Nissan-Allianz die in der Formel 1 eingesetzte Hybrid-Technik mit doppelter Energie-Rückgewinnung auf Serienfahrzeuge übertragen. Das duale und sich an die Fahrsituation anpassende System soll im Q60 zur Anwendung kommen. Ein erstes Ausrufezeichen haben die Japaner auf dem Genfer Salon im März 2017 gesetzt - mit dem Project Black S, das der Startschuss für eine ganze Reihe an High-Performance-Modellen sein könnte.

Die Grundlage dafür: Seit 2016 ist Infiniti nicht mehr nur Sponsor in der Formel 1, sondern technischer Partner des Formel 1 Teams der Konzernschwester Renault. Am Rande des Grand Prix im englischen Silverstone gewährten beide Partner einen Blick hinter die Kulissen. Erste Station ist das Infiniti Technical Centre in Cranfield. Hier wird klar, wie konsequent und langfristig die Entwicklung vorangetrieben wird. Bestes Beispiel dafür ist die Engineering Academy, die 2015 ins Leben gerufen wurde. Drei Teilnehmer des aktuellen Jahrgangs erwarten uns bereits und berichten über ihre Erfahrungen. Das Rekrutierungs- und Förderprogramm der besonderen Art ermöglicht es angehenden Ingenieuren, noch vor Abschluss des Studiums für ein Jahr einen Crashkurs sowohl in Sachen Formel 1 als auch Serienfahrzeuge zu absolvieren. Für jeweils sechs Monate arbeiten sie mit den Experten der Technikzentren von Infiniti in Cranfield und des Renault Sport Formel 1 Teams in Enstone zusammen.

Um diese einmalige Chance zu bekommen, müssen sich Bewerber in mehreren theoretischen und auch praktischen Testrunden durchsetzen. Je einen Gewinner aus sieben Regionen - Europa, USA, Kanada, Mexiko, China, Vereinigte Arabische Emirate sowie Asien/Ozeanien (einschließlich Singapur, Südkorea, Australien und Hongkong) - hat Infiniti ausgewählt. Die Plätze sind begehrt und das Interesse steigt von Jahr zu Jahr. "2016 haben wir noch 4.800 Bewerbungen erhalten, 2017 sind es bereits 12.000 Stück", sagt Andy Todd, Direktor Body and Exterior Engineering bei Infiniti Europe. Er leitet die Jungspunde an und ist für viele eine Art Vaterfigur. "Ziel unserer Bemühungen ist es, die technischen, aber auch sonstige professionelle Fähigkeiten zu vermitteln - dazu gehören zum Beispiel auch ein selbstbewusstes Auftreten und die Präsentation nach außen. Das Gute ist, dass die Teilnehmer nicht nur von uns lernen, sondern wir auch von ihnen. Und einige kommen auch zurück oder verlassen die Academy sogar mit einem Vertrag in der Tasche."

Mit Anfang 20 werden die Auserwählten praktisch ins kalte Wasser geworfen: "Wir werden sofort voll in den Arbeitsprozess eingebunden", sagt Sally Li, die die Region China vertritt. Und schon jetzt zieht sie ein überaus positives Zwischenfazit: "Die Erfahrung hat mir sehr bei der Spezialisierung geholfen." Nach der Zeit in England geht es für sie zurück an die Hochschule, sechs der sieben Teilnehmer in diesem Jahr steht das bevor. Der kanadische Vertreter Félix Lamy ergänzt: "Beide Seiten kennenzulernen - Top-Motorsport und Straßenwagen - bringt ein ganz anderes Verständnis der Dinge."

Der Student ist 21 Jahre alt. Wie ist es da möglich, dass das ohne größere Startschwierigkeiten funktioniert? "Wir bringen ja alle schon eine gewisse praktische Erfahrung mit, fünf der sieben Teilnehmer in diesem Jahr waren zum Beispiel bei der Formula Student engagiert." Dabei handelt es sich um einen internationalen Wettbewerb, in dem Studenten-Teams ein Fahrzeug nicht nur entwerfen, sondern auch bauen und sogar einen Wirtschaftsplan aufstellen. "Das ist auch schon eine gute Schule, aber natürlich in keinster Weise vergleichbar mit den Erfahrungen hier. Es ist schon krass, dass Teile, die wir im Winter mitentwickelt haben, jetzt tatsächlich im aktuellen Formel 1 Fahrzeug zum Einsatz kommen."

Das sehen die vier Teilnehmer, die an der zweiten Station unseres Besuchs tätig sind - dem Renault Sport Entwicklungszentrum in Enstone - genauso. "Ich will speziell in der Formel 1 Erfahrungen sammeln und hoffe natürlich, nach Abschluss des Programms übernommen zu werden", sagt die US-amerikanische Teilnehmerin Caitlin Bunt, die zuvor schon zusammen mit ihrem Vater in Rennserien jenseits des großen Teichs mitgearbeitet und als Einzige des aktuellen Jahrgangs ihren Abschluss in Motorsport Engineering schon in der Tasche hat. "Doch es ergeben sich jetzt zahlreiche Möglichkeiten, weil man mit den richtigen Leuten zusammenkommt. Nicht zuletzt bietet sich hier auch die Chance zum Netzwerken, das ist essenziell."

Auf einer Führung wird dann deutlich, wie aufwändig die Entwicklung eines Formel-Boliden ist. Rund 1.000 Menschen arbeiten das ganze Jahr über, um die beiden Autos für das Renault Sport Team auf die Räder zu stellen. In Enstone spielt das Thema Karosseriefertigung die Hauptrolle - meistverwendeter Werkstoff ist Kohlenstofffaser-verstärkter Kunststoff (CFK), der gemeinhin als Carbon bezeichnet wird. "Leichtbau ist das A und O", sagt Aser Murias, der als Ingenieur im Bereich Mechanical Design tätig ist. "Wenn wir irgendwo auch nur ein paar Gramm einsparen können, das aber viele Stunden Arbeit bedeutet, werden wir es dennoch tun."

Mit ähnlicher Akribie arbeiten Infiniti und Renault Sport am Projekt Black S, das nach dem Vorbild der Grand Prix-Fahrzeuge Hybrid-Technik mit doppelter Energie-Rückgewinnung an Bord haben soll. Hier sind neben den Carbon-Experten - Leichtbauteile sollen das Mehrgewicht der zusätzlichen Bauteile mindestens ausgleichen - vor allem die Hybrid-Spezialisten von Infiniti am Werk, die gewöhnlich Renault bei der Entwicklung und Fertigung des Antriebs im französischen Viry Chatillon unterstützen. Und was verbirgt sich hinter der doppelten Energierückgewinnung, die bisher bei keinem Serienfahrzeug zum Einsatz kommt?

Beim Project Black S soll nicht nur wie üblich die kinetische Energie genutzt werden, die beim Bremsen entsteht, sondern auch die heißen Abgase, also im Prinzip Wärmeenergie. Erzeugt wird diese jedoch auf herkömmliche Weise über einen zweiten Generator, der am Turbolader sitzt. Der Elektro-Boost, der den V6-Benziner im Q60 unterstützt, soll 203 Nm zusätzliches Drehmoment und 160 PS Leitung bereitstellen - und zwar praktisch verzögerungsfrei.

Ein fahrbarer Prototyp soll im kommenden Jahr fertig sein, und die Chancen auf eine Realisierung als käuflicher Straßenwagen stehen gut. Als Indiz dafür könnte man werten, dass Infiniti auch den Formel 1 Ausrüster Pirelli beim dem Projekt mit ins Boot geholt hat, der maßgeschneiderte Reifen für das dann neue Top-Modell liefern soll. Dieses soll ein deutlich sichtbares Zeichen sein für die hohe Kompetenz, die sich Infiniti in den vergangenen Jahren in Sachen Hybridtechnik erarbeitet hat. Die ist aber auch schon aktuell "erfahrbar": Testfahrten mit dem 360 PS starken aktuellen Q50 Hybrid, dessen Antrieb in der Spitze 640 Newtonmeter generiert und der den Standard-Sprint auf Tempo 100 in 4,9 Sekunden absolviert, beweisen eines schon heute: Dass die Hybridantriebe nicht nur für niedrigere Verbräuche sorgen können, sondern in sportlicher Auslegung auch für ein deutliches Plus an Fahrdynamik.

Thomas Schneider / mid

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